Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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Die bedrückende Erfahrung der Armut in der Welt, die Ungleichheit zwischen den reichen und armen Völkern, die fehlenden Entwicklungschancen in wirtschaftlich unterentwickelten Regionen und das wirtschaftliche Gefälle in und zwischen den Staaten lassen viele Menschen unserer Zeit nicht gleichgültig. Gerechtigkeit als leitendes Prinzip von Rechten aller Menschen und Völker macht nicht nur neue Einstellungen und Grundhaltungen erforderlich, sondern auch eine Umstrukturierung von Institutionen und eine bessere Weltwirtschaftsordnung. All dies schlägt sich in der kirchlichen Verkündigung auch im Begriff der Entwicklung nieder, wie ihn die neueren Sozialenzykliken herausgestellt haben (vgl. PP, LE, SRS). Der Weg führt von einem vorrangig wirtschaftlichen zu einem umfassenden Verständnis, das in die Forderung nach weltweiter Solidarität mündet.

Auch die Vereinten Nationen haben das Recht auf Entwicklung als ein unveräußerliches Menschenrecht bezeichnet (1981) und Entwicklung als "Entfaltung der menschlichen Person in Einklang mit der Gemeinschaft" umschrieben. Dieses "Recht auf Entwicklung" ist ein Solidaritätsrecht, das aus dem Prinzip der internationalen Solidarität hervorgeht. Diese schließt eine dynamische Verwirklichung von Gerechtigkeit in der Welt ein, fordert die Beseitigung der "strukturellen Ungerechtigkeit" und den Aufbau internationaler Sozial- und Wirtschaftsbeziehungen, die sich an den Menschenrechten ausrichten.

Die Menschenwürde als tragendes Fundament und die Menschenrechte als leitende Prinzipien des Handelns bilden somit nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft und ihre Institutionen die Basis und die Maßstäbe, an denen sich das sittliche Verhalten zu orientieren hat. Dieses ist heute auf die Bewältigung unzähliger Probleme gerichtet, zu deren Lösung Gerechtigkeit und Liebe gleichermaßen gefordert sind. Der von der Liebe geleitete Wille, jedem sein Recht zukommen zu lassen, muß sich über das Wohl-wollen in das Wohl-tun umsetzen. Es ist unsere Aufgabe, nach dem zu suchen, was jeweils gut und richtig ist und wie es verwirklicht werden kann. Dazu sind wir mit unserer vom Glauben und von der Liebe geleiteten Vernunft immer neu auf dem Weg.
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