Band I - Erster Teil Gott der Vater
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wie uns selbst (vgl. Mk 12,31). Wir dürfen und sollen uns also etwas wert sein und sollen auf unsere Gesundheit ebenso achten wie auf unsere Ehre und unseren Ruf. Dies alles entspricht freilich nur dann der Würde des Menschen, wenn der Mensch seine Erfüllung nicht zuerst in dem sucht, was er hat, sondern in dem, was er ist. "Der Wert des Menschen liegt mehr in ihm selbst als in seinem Besitz" (GS 35). Gerade in der Hast und Hetze des modernen Alltags besteht die Gefahr, daß wir uns selbst vergessen und verlieren und nicht mehr zur Besinnung auf uns selbst kommen. Auch dies ist gegen Wert und Würde des Menschen.

3.4 Wesen des Menschen

Aufgrund der Bestimmung und der Würde des Menschen stellt sich nochmals die Frage: Was ist der Mensch? Was ist der Wesensstand des Menschen? Die Antwort der Bibel kommt unserer heutigen Erfahrung und Erkenntnis sehr entgegen. Wir erfahren den Menschen nicht als Zusammensetzung aus zwei Teilen, aus einem materiellen Leib und einer geistigen Seele; wir verstehen den Menschen vor allem als eine Einheit und Ganzheit. Wenn etwa der Leib krank und leidend ist, leidet der ganze Mensch; umgekehrt können leibliche Krankheiten seelische Ursachen haben. Ähnlich meint die Bibel, wenn sie vom Menschen als Ebenbild Gottes spricht, immer den einen und ganzen Menschen. Sie beschreibt ihn mit Hilfe einzelner leiblicher Organe wie Lebensatem, Fleisch, Herz, Nieren, Seele, die neben ihrer unmittelbaren Bedeutung alle eine übertragene Bedeutung haben und den ganzen Menschen bezeichnen. Wenn das Neue Testament vom ewigen Wort sagt, es sei Fleisch geworden (vgl. Joh 1,14), dann heißt das nichts anderes als: Jesus Christus ist Mensch geworden. So müssen wir sagen: Der Mensch hat nicht Leib und Seele, er ist Leib und er ist Seele und Geist.

Entsprechend hat die kirchliche Glaubenslehre sowohl gegen eine einseitig materialistische wie gegen eine einseitig spiritualistische Deutung des Menschen immer wieder die Einheit des Menschen in Seele und Leib verteidigt (vgl. DS 800; 3002; NR 918; 316). Im Anschluß an die Lehre des hl. Thomas von Aquin (13. Jh.) lehrte die Kirche, die Geistseele sei die Wesensform des Leibes (vgl. DS 902; NR 329). Damit ist gemeint: Leib und Seele sind nicht zwei getrennte Elemente, die erst
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