Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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falsche Leitbilder vermittelt worden sein, oder sie haben der Eigenliebe oder dem Erfolg den Vorzug vor dem sittlich Guten gegeben.

Das Gewissen ist eine komplexe Erscheinung. Es stellen sich für die Deutung dieses Phänomens viele Fragen. Ist das Gewissen eine von Gott geschenkte Befähigung, die uns angeboren ist? Ist es gar das Echo der Stimme Gottes (John Henry Newman) in uns? Oder ist das Gewissen eine durch Erziehung und Umwelt erworbene Funktion, die nur die jeweiligen Werte und Normen der Eltern, der Gesellschaft und der Umwelt widerspiegelt? Was sagen uns darüber Bibel und christliche Tradition? Wie verstehen die heutigen Erfahrungswissenschaften das Gewissen? Was lehrt die Kirche heute über das Gewissen?

2. Die Deutung des Gewissens in der Heiligen Schrift

2.1. Das Gewissen als Ort der Begegnung des Menschen mit Gott nach dem Alten Testament

Nach alttestamentlicher Vorstellung ist die Regung des Gewissens von Gott eingegeben. Er hat das menschliche Herz so geschaffen, daß es auf Schuld reagiert. Einmal wird von König David erzählt: "Dann aber schlug David das Gewissen, weil er das Volk gezählt hatte, und er sagte zum Herrn: Ich habe schwer gesündigt . . ." (2 Sam 24,10; vgl. 1 Sam 24,6).

Die Gewissensregung tritt nicht nur nach der schlechten Tat auf, sie meldet sich auch vor der Tat. In der Erzählung von Kain und Abel heißt es:
"Der Herr schaute auf Abel und sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz heiß, und sein Blick senkte sich. Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß, und warum senkt sich dein Blick? Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr über ihn!" (Gen 4,4b-7).
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