Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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Im Glauben des alttestamentlichen Gottesvolkes wird die Gewissenserfahrung von vornherein in Beziehung zu Gott gesehen. Hinter dem mahnenden, warnenden oder verurteilenden Gewissensspruch wird die Stimme Gottes wahrnehmbar. In ihr wird der Mensch persönlich angesprochen.

Diese personale Sicht hängt in der Geschichte des Alten Testamentes mit dem Glauben an den persönlichen Gott zusammen. Im Angesicht dessen, der "Herz und Nieren" (Jer 11,20 u. ö.) prüft, nimmt der Mensch sich selbst in neuer Weise wahr und erkennt zugleich, daß Gottes Erbarmen die Sünde verzeiht. Daher kann er vertrauensvoll beten:
"Herr, du hast mich erforscht, und du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. Von fern erkennst du meine Gedanken. Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; du bist vertraut mit all meinen Wegen. Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge - du, Herr, kennst es bereits. Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich" (Ps 139,1-5).
Indem der Mensch die geheimsten Regungen und Gedanken seines Herzens auf Gott hin öffnet, erschließen sich ihm die Tiefen des eigenen Inneren.

Das Gewissen stellt einen Menschen nicht nur Gott gegenüber, sondern zeigt ihm auch seine Verantwortung für die Mitmenschen. Bedrängend macht es ihm kund, wie schwer eine böse Tat wiegt. Kains Verzweiflung nach dem Mord an seinem Bruder Abel ist deshalb so erschütternd, weil ihm bewußt wurde, daß er unwiderruflich etwas Böses getan hat, das katastrophale Folgen zeigt.

David wird durch den Propheten Natan auf sein Unrecht aufmerksam gemacht, daß er Urija angetan hat (2 Sam 12,7-12; vgl. Ps 51 "Miserere"). Er erkennt sein Tun als böse und begreift, daß er damit zugleich vor Gott schuldig geworden ist. Er sagt: "Ich habe gegen den Herrn gesündigt" (2 Sam 12,13).

Ähnlich versucht Josef von Ägypten, der Frau des Potifar, die ihn zur Sünde verführen will, die Schwere der Schuld deutlich zu machen, die er auf sich laden würde, wenn er das Vertrauen
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