Band I - Erster Teil Gott der Vater
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Gottebenbildlichkeit zutiefst je schon angelegt sind, das wir aber aus eigener Kraft nicht erreichen können: die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott. Sie ist in Jesus Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes, in einmaliger Weise verwirklicht. Durch seinen Geist werden wir als Kinder Gottes angenommen (vgl. Röm 8,14-17; Gal 4,4-6). Dadurch, daß wir durch Christus Anteil erhalten an der göttlichen Natur (vgl. 1 Petr 1,4), schenkt Gott uns unendlich viel mehr, "als wir erbitten oder uns ausdenken können" (Eph 3,20). Dabei ist, was wir jetzt schon erhalten, nur das Angeld und der Vorgeschmack (vgl. 2 Kor 1,22; Eph 1,13-14), es findet seine Vollendung erst, wenn wir Gott schauen von Angesicht zu Angesicht (vgl. 1 Kor 13,12). Denn "das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast" (Joh 17,3).

Die Theologie hat später unterschieden zwischen der schöpfungsgemäßen natürlichen und der gnadenhaft geschenkten übernatürlichen Gottebenbildlichkeit des Menschen. Sie hat diese Unterscheidung ursprünglich mit dem Unterschied der Begriffe "Bild und Gleichnis" (vgl. Gen 1,26.28) begründet. Auch wenn diese Schriftauslegung vom heutigen Schriftverständnis her nicht haltbar ist, so entspricht sie doch voll der Gesamtperspektive der Heiligen Schrift. Denn für die Schrift ist die Schöpfung nur der Anfang und die Grundlage, die durch die Heilsgeschichte nicht aufgehoben, wohl aber überboten wird. Wenn die Theologie dabei vom übernatürlichen Charakter der Heilsordnung spricht, dann deshalb, weil wir aufgrund der schöpfungsmäßigen Verwiesenheit auf Gott dieses Heil, die Gemeinschaft mit Gott, zwar - bewußt oder unbewußt - ersehnen und erhoffen, aber aus den Kräften unserer Natur nicht erreichen können. Es ist weder evolutiv noch revolutionär leist- und machbar. Die personale Lebensgemeinschaft mit Gott kann uns nur von Gott aus reiner Gnade, d. h. ohne jedes Verdienst, frei und ungeschuldet, über unsere Natur hinaus geschenkt werden. Doch gerade als Geschenk ist es die alles überbietende Erfüllung des Menschen. Das Verhältnis von Natur und Gnade ist also nicht etwa nach Art von zwei aufeinandergesetzten Stockwerken oder zwei Ordnungen zu denken, die nichts miteinander zu tun haben. In beiden geht es um die Verwirklichung des einen Heilsplans in Jesus Christus.

Die Unterscheidung zwischen natürlicher und übernatürlicher Gottebenbildlichkeit begründet einen Unterschied zur reformatorischen Lehre. Diese bezieht im allgemeinen den Begriff der Gottebenbildlichkeit nur auf die gnadenhafte Gemeinschaft mit Gott, aber nicht auf die mit der Natur des Menschen gegebene Bestimmung zur Partnerschaft mit Gott. Das hat Folgen für das Verständnis der Sünde als Abbruch und Verlust der gnadenhaften Gemeinschaft mit Gott wie für die Frage der menschlichen Mitwirkung bei der Rechtfertigung und Heiligung des Sünders. Ein Ansatz zur Überwindung dieses Unterschieds ist heute darin gegeben, daß die natürliche Gottebenbildlichkeit deutlicher als Bestimmung von Jesus Christus her und auf ihn und die gnadenhafte Teilnahme an seiner Wirklichkeit hin verstanden wird.
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