Die Zusammengehörigkeit von Natur und Gnade kommt in dem berühmten scholastischen Grundsatz zum Ausdruck: Die in Jesus Christus geschenkte Gnade setzt die Natur voraus und bringt sie zur Erfüllung. Die Gnade setzt ja einen Adressaten voraus, der frei ist, zur Gnade ja oder nein zu sagen; insofern setzt die Gnade eine relativ in sich stehende Natur, besser: die menschliche Person und ihre Freiheit, voraus. Sie setzt diese Person aber als "etwas" voraus, das offen ist und dynamisch über sich selbst hinausweist und allein in Gott seine Erfüllung findet.So erschließt uns Jesus Christus, warum der Mensch das Wesen ist, das sich um ein Unendliches überschreitet (B. Pascal), das immer wieder neu unterwegs ist, das nirgends stehenbleiben kann, dem sich vielmehr immer wieder neue Horizonte erschließen, das an nichts in der Welt endgültig sein Genügen finden kann, das vielmehr rast- und ruhelos ist. Er lehrt uns den Menschen verstehen als ein Wesen der unendlichen Hoffnung und Sehnsucht, aber auch der bodenlosen Angst, sich zu verfehlen. Der Mensch, schwankend zwischen Hoffnung und Angst, das ist die Signatur des Menschen nicht nur heute, sondern im Grunde zu allen Zeiten. "Denn geschaffen hast Du uns zu Dir, und ruhelos ist unser Herz, bis es seine Ruhe hat in Dir" (Augustinus).
4. Woher kommt das Böse? - Vom Sinn der Geschichte
4.1 Eine schwere Frage und viele Antworten
Alles bisher über die Größe und Schönheit der Schöpfung und über die Berufung des Menschen Gesagte scheint unrealistisch und naiv optimistisch zu sein. Wie soll man denn angesichts der Hölle von Auschwitz, von Hiroshima, des Archipel Gulag - um nur ein paar Orte des Grauens in unserem Jahrhundert zu nennen - den Gott loben, "der alles so herrlich regieret" (Gotteslob 258)? Schon die Psalmen kennen die Erfahrung, daß es den Bösen gut, den Gerechten aber schlecht geht (vgl. Ps 73,3-12). Die Frage "Warum muß der Gerechte leiden?" beschäftigt vor allem das Buch Ijob. Ijob ist nicht nur der große Dulder, der das oft zitierte Wort spricht: "Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn" (Ijob 1,21). Ijob kämpft und streitet mit Gott. Er bäumt sich auf und verflucht den Tag seiner Geburt (Ijob 3,2-3). "Zum Ekel ist mein Leben mir geworden" (Ijob 10,1). Er verwirft