Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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  • Im Gewissen erkennt der Mensch die wesentlichen Grundforderungen seiner Existenz. Der Glaubende weiß sich im Gewissen vor sich selbst und vor Gott verantwortlich.
  • Im einzelnen Gewissensspruch wird das als werthaft Erkannte auf die konkrete Situation angewandt.
  • Die Befolgung oder Ablehnung des Gewissensspruchs hat Bedeutung für das Heil oder Unheil des Menschen.
  • Kern und Mitte der biblischen Deutung des Gewissens ist der Bezug des Gewissens zu Gott. In der Stimme des Gewissens, die zum Tun des Guten und zum Meiden des Bösen aufruft, schafft Gott sich Gehör. Er ruft uns dazu auf, daß wir auf seine Stimme hören, uns auf ihn ausrichten und so in Übereinstimmung mit seinem Willen leben. Das geschieht mit der Kraft des Heiligen Geistes (vgl. Röm 9,1), der zur Erkenntnis des Guten hinlenkt.

    Paulus erkennt auch Schwächen und Grenzen der Gewissenserkenntnis. Der Mensch kann sich in seinen sittlichen Einsichten täuschen und darum in seinem sittlichen Urteil irren.

    Ein lehrreiches Beispiel bietet Paulus in der Frage des Götzenopferfleisches (1 Kor 8,1-12; 10,25-30): Darf ein Christ von dem Fleisch, das auf dem Markt meistens vom nahegelegenen Tempel angeboten wurde, essen oder nicht? An sich haben die Christen, die das ohne Bedenken taten (die "Starken"), recht, weil es für einen Christen keine Götzen gibt. Aber damals hielten es manche Christen (die "Schwachen") aus ihrer bisherigen Einstellung für verboten. Sie haben eine irrige Erkenntnis; wenn sie dennoch Götzenopferfleisch essen, "beflecken" sie ihr Gewissen und sündigen. Man muß - das ergibt sich hier - auch dem irrigen Gewissen folgen, und zwar unbedingt.

    Paulus hat noch weiteres im Sinn: Wenn die "Starken" durch ihr Verhalten die "Schwachen" dazu verleiten, vom Götzenopferfleisch zu essen, sollen sie darauf verzichten. "Wenn ihr euch auf diese Weise gegen eure Brüder versündigt und ihr schwaches Gewissen verletzt, versündigt ihr euch gegen Christus" (1 Kor 8,12).


    Stets sind wir demnach verpflichtet, dem Spruch des Gewissens zu folgen, auch wenn dieses irrt. Das Gewissen ist die letzte maßgebliche Norm der persönlichen Sittlichkeit in der Situation des Handelns. Es gibt keine wichtigere Instanz, die uns unser Stehen vor Gott so bewußt hält und nach seinem Willen suchen läßt, als das Gewissen. Gewiß muß sich jeder Christ bemühen, zu einem dem Glauben entsprechenden Gewissensurteil zu kommen; aber es gibt Situationen, in denen ihm eine weitere Überprüfung nicht möglich ist; eine Änderung seines Gewissensurteils kann dann nicht vollzogen werden. Wenn ihn sein Glaube zu einer bestimmten Handlung drängt, muß er ihm folgen.
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