Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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Schlüsselwort der konziliaren Lehre vom Menschen: Jeder ist zum Menschsein berufen; er ist sich selbst aufgegeben, unabhängig davon, ob er hinter seinem Leben eine berufende Instanz bewußt anerkennt oder nicht. Berufung zum Menschsein besagt, daß der Mensch immer auf einen Weg gerufen ist, um sein Leben und seine Beziehung zu Gott und zu den Mitmenschen immer besser und reifer werden zu lassen. Das macht seine Würde als Person aus. Der Mensch ist kein bloßes Naturwesen, das durch biologische und physikalische Gesetze gelenkt wird, sondern er ist ein freies Wesen, das als Ebenbild Gottes in seiner Freiheit angesprochen und angerufen ist. Der Ort, an dem diese Berufung als ethischer Anspruch erfahren wird, ist das Gewissen.
"Im Innern seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bösen anruft und, wo nötig, in den Ohren des Herzens tönt: Tu dies, meide jenes. Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet wird" (GS 16).
Hier spricht das Konzil von der Erfahrung des sittlichen Anspruchs, der sich als unbedingter Anspruch, als Gesetz, in der Stimme des Gewissens äußert. Es ist eine Stimme voll Unnachgiebigkeit. Das sich in dieser Stimme äußernde Sollen betrifft die innerste Mitte des Menschen. Es ruft den Menschen dadurch zur Selbstverwirklichung auf, daß es ihn auffordert, das Gute zu tun und dadurch gut zu sein. Gut und Böse sind nicht in das Belieben des Menschen gestellt. Der Anruf zum Guten ist ein unabdingbarer Anspruch. Er engt aber nicht ein und entfremdet den Menschen nicht von sich selbst, sondern lenkt ihn vielmehr auf die Verwirklichung des Menschseins hin.

In der Erfahrung dieses Anspruches steht der Mensch vor Gott. Im Leben nach dem Gewissen oder gegen das Gewissen entscheidet der Mensch end-gültig über sein Heil oder sein Unheil.

Die alte und stets neue Frage, was das Gewissen ist, beantwortet das Konzil mit einer Umschreibung, in der besonders der personale und religiös-dialogische Charakter des Gewissens betont wird:
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