Band I - Erster Teil Gott der Vater
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die - im Vergleich mit den Mythen sehr zurückhaltenden - Bilder zusätzlich phantasievoll ausmalen und sich das Paradies als eine Art Schlaraffenland vorstellen. Auf der anderen Seite kann man die mythologisch geprägte Bildersprache nicht als für uns heute bedeutungslos abtun oder sie rein geistig und rein symbolisch deuten, als ob es in ihnen um keinerlei geschichtliche Wirklichkeit ginge. Es geht ja eben um Aussagen über den geschichtlichen Ursprung des Üblen und Bösen in der Welt (ätiologische Aussagen). Gesagt werden soll: Gott hat die Welt gut geschaffen. Das Üble und das Böse in der Welt gehen nicht auf Gott zurück, sie sind erst in der Geschichte entstanden. Sie sind nicht Gottes, sondern der Menschen Schuld. So geht es in der Paradiesgeschichte um eine großangelegte Rechtfertigung Gottes (Theodizee) angesichts des konkreten Zustands der Welt.

Was die Paradiesgeschichte in Bildern ausdrückt, das hat die kirchliche Glaubensverkündigung in der Lehre vom Urstand begrifflich erläutert. In Aufnahme älterer Formulierungen stellt das Konzil von Trient (1545-1563) fest: Adam, der erste Mensch, hat durch die Übertretung des Gebotes Gottes "die Heiligkeit und Gerechtigkeit, in die er eingesetzt war", verloren (DS 1511; NR 353). Mit "Heiligkeit und Gerechtigkeit" meint das Konzil die ursprüngliche Gemeinschaft und Freundschaft des Menschen mit Gott, das Auf-du-und-du-Sein mit Gott und den vertrauten Umgang mit ihm, von dem die Paradiesgeschichte berichtet. Der Kern der Paradieserzählung wie der Urstandslehre ist also keine paläontologische (vorgeschichtliche), sondern eine theologische Aussage: Gott hat den Menschen nicht nur gut, ja sehr gut erschaffen; er hat ihn darüber hinaus teilnehmen lassen an seinem Leben.

Die gnadenhafte Erfüllung des Menschen hatte nach der Heiligen Schrift wie nach der kirchlichen Lehre Auswirkungen auf das Heilsein des ganzen Menschen. Die ursprüngliche "Heiligkeit und Gerechtigkeit" strahlte sozusagen aus auf die verschiedenen Bereiche des menschlichen Daseins. In der theologischen Fachsprache spricht man von den außernatürlichen Urstandsgaben als Folgen der übernatürlichen Urstandsgnade. Dazu gehört, daß der Mensch nicht in sich gespalten war, Leib und Seele waren ganz integriert. Der Mensch war also frei von dem, was man Begierlichkeit (Konkupiszenz) nennt, d. h. frei von der Widerspenstigkeit einzelner Schichten und Antriebskräfte des Menschen gegen die personale Grundausrichtung. Deshalb war der Mensch zweitens auch frei von der Verfinsterung und der Verwirrung seiner geistigen Kräfte. Das heißt nicht, daß er mehr Wissen gehabt hätte als wir heute, wohl aber, daß er größere und tiefere Weisheit besaß. Er konnte alles von Gott her und
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