"Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist" (ebd.).
Diese Umschreibung des Gewissens als "verborgenste Mitte im Menschen" entspricht dem, was die biblisch-christliche Tradition mit dem Wort "Herz" oder "Mitte der menschlichen Person" und die Mystik mit "Seelengrund" meinte. Hier öffnet sich der Mensch dem Willen Gottes und sucht, ihn zu verstehen. Hier ereignet sich das Gespräch mit Gott, darin auch das Ja oder das Nein zu ihm. Die Entscheidung, zu der uns das Gewissen aufruft, müssen wir fällen. Wohl kann ein Mensch mancherlei Hilfe und Beratung erfahren. Doch nur Gott kann bei der Freiheitsentscheidung zugegen sein. Deshalb wird das Gewissen "das Heiligtum" im Menschen genannt. Es hat daher zutiefst eine religiöse Bestimmtheit.
Der Glaubende erfährt im Gewissen Gottes Zusage, Verheißung und Anruf. Gott öffnet ihm die "Ohren des Herzens" und verheißt ihm, daß er im Vertrauen auf Gott seine Freiheit und sein Leben wagen kann, indem er dem Anruf zum Leben der Liebe folgt. Die Liebe ist Inhalt und Maßstab des Gewissens, sie ist sein eigentliches Gesetz. Das Konzil drückt das mit den Worten aus:
"Im Gewissen erkennt man in wunderbarer Weise jenes Gesetz, das in der Liebe zu Gott und dem Nächsten seine Erfüllung hat" (ebd.).
Die ethische Erfahrung im Gewissen des Menschen ist nirgendwo intensiver als dort, wo der Mensch Verantwortung für andere übernimmt. Kern aller Gewissensorientierung ist darum das Doppelgebot der Liebe (vgl. Mt 22,37-40). Dieser Hauptinhalt gibt dem Gewissen eine grundlegende Wertorientierung und läßt den Menschen auch wahrnehmen, was dieser Liebe entspricht. Diese Liebe soll, wie der heilige Paulus sagt, "reicher werden an Einsicht und Verständnis, damit ihr beurteilen könnt, worauf es ankommt. Dann werdet ihr rein und ohne Tadel sein für den Tag Christi, reich an der Frucht der Gerechtigkeit, die Jesus Christus gibt, zur Ehre und zum Lob Gottes" (Phil 1,9-11).