Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
Seite 131 Seite: 132 Seite 133
Jeder muß auf seinem Weg mit Gott nach dem suchen, was vor Gott wahr und gut ist. Die Möglichkeit, daß er dabei falsche Wege gehen und unübersehbaren Schaden anrichten kann, soll ihn mahnen, der Grundentscheidung zum Guten treu zu bleiben und sich ständig um die Bildung seines Gewissens zu mühen.

3.2. Die Wirkweise des persönlichen Gewissens

Die Aussagen des Konzils (GS 16) lassen erkennen, daß das Gewissen keine statische Größe ist. Es kann nur richtig reagieren, indem es sich beständig entfaltet. Das Gewissen jedes Menschen hat seine eigene Geschichte; es durchläuft einen Prozeß, den der Mensch nur zum Teil selbst bestimmen kann; er ist zugleich von den Rahmenbedingungen abhängig, unter denen er aufwächst.

Erstverantwortung für die Gewissensbildung von Kindern haben die Eltern. Später sind Miterzieher einbezogen, die heute allerdings schon recht früh die Wertungen mitbestimmen, welche das Gewissen der Kinder formen.

Wie entwickelt sich im einzelnen Menschen die Fähigkeit, in seinem Leben den Ruf Gottes wahrzunehmen? Die erste Bedingung dafür, daß ein Mensch sich im Leben annimmt und darin Gottes Ruf wahrnimmt, ist, daß er sich selbst angenommen und geliebt weiß.

Die Psychologie zeigt uns, wie sich die Fundamente der Werterfahrung eines Menschen schrittweise entwickeln. Für die Bereitschaft des Erwachsenen, überhaupt Verantwortung zu übernehmen, ist die Vermittlung eines Urvertrauens eine der wichtigsten Voraussetzungen, für die in den ersten zwei Lebensjahren gesorgt werden muß; es bildet sich in der Annahme des Kindes durch die Eltern, besonders der Mutter.

In der ersten Phase einer anfänglichen Verselbständigung des Kindes, das zu gehen gelernt hat und einmal auf "eigenen Füßen stehen" soll, wird dann die Voraussetzung dafür geschaffen, daß es später als erwachsener Mensch zu sich stehen kann; überzogene Strenge kann das Kind in dieser Phase verunsichern; es können sich Ängste entwickeln, die sich später als zwanghafte Gewissensreaktionen zeigen. Da der Mensch nicht zu sich stehen kann, wird er sich immer ängstlich an Normgerüste halten, um Halt zu gewinnen. Es kommt deswegen darauf an, dem Kind soweit wie möglich Mut zu eigenen Schritten zu geben.

Eine weitere Phase ist für die Inhalte entscheidend, die die Gewissensreaktion im einzelnen lenken. Aber noch ist es die Autorität der Eltern, sind es ihre Normen und Wertungen, die das Kind fraglos zu den eigenen macht. Kinder sind hier in den
Seite 131 Seite: 132 Seite 133