Diese Klärungen wurden in der Auseinandersetzung mit den Reformatoren und ihrem Sündenverständnis neu aufgegriffen. Nach den Reformatoren führt die Abkehr von Gott zur radikalen Verkehrung des Menschen. Das Wesen der Erbsünde ist die böse Lust und Neigung, d. h. die Abneigung gegen Gott, der Mangel an wahrer Gottesfurcht und wahrem Glauben (vgl. CA 2). Dadurch verliert der Mensch die ursprüngliche Gottebenbildlichkeit (vgl. Apol. 2). In Rechtfertigung und Taufe wird der Mensch zwar wiedergeboren, aber die böse Lust und Neigung bleiben bestehen. So sind die Gerechtfertigten "Sünder und Gerechte zugleich".
Demgegenüber lehrte das Konzil von Trient (1545-1563): Adam hat aufgrund der Sünde, durch die er das Gebot Gottes übertreten hat, "die Heiligkeit und Gerechtigkeit, in die er eingesetzt war", verloren. Dadurch ist er aus der Gemeinschaft mit Gott herausgefallen und der Macht des Teufels verfallen. Er wurde nicht total verkehrt, sondern "an Leib und Seele zum Schlechteren gewandelt". Diese eine Sünde, die Ursünde, wurde auf das ganze Menschengeschlecht übertragen, und zwar "durch Abstammung, nicht durch Nachahmung", so daß sie "allen innewohnt und jedem zu eigen ist". Durch das Verdienst Jesu Christi wird die Erbsünde im Sakrament der Taufe wirklich getilgt. Die Taufe ist eine wirkliche Wiedergeburt, durch die wir den alten Menschen ausziehen und den neuen, der nach Gott geschaffen ist, anziehen (vgl. Eph 4,22; Kol 3,9-10). Die nach der Taufe zurückbleibende Begierlichkeit ist nicht die Sünde selbst, sondern deren Folge. Sie stammt aus der Sünde und macht wieder zur Sünde geneigt. Es war freilich erklärtermaßen nicht die Absicht des Trienter Konzils, die Jungfrau und Gottesmutter Maria in diese allgemeine von der Erbsünde bestimmte Unheilssituation miteinzubeziehen (vgl. DS 1511-1516; NR 353-358).
Die böse Begierlichkeit (Konkupiszenz), von der die Tradition in diesem Zusammenhang spricht, darf nicht auf die sexuelle Begierlichkeit eingeschränkt werden. Es gibt auch die geistige Begierlichkeit, den Hochmut. Gemeint ist die Desintegration des Menschen, das Auseinanderstreben der verschiedenen Antriebskräfte, die Widerspenstigkeit des Leibes wie des Geistes gegen die Grundausrichtung der Person, die Geneigtheit zum Bösen.
Die Lehre des Alten und Neuen Testaments von der Universalität der Sünde, welche in der kirchlichen Überlieferung in der Lehre von der Ursünde und von der Erbsünde entfaltet wurde, begegnet vielen Mißverständnissen und bereitet heute vielen Christen keine geringen Schwierigkeiten. Eine erste Schwierigkeit besteht darin, daß heute viele Wissenschaftler annehmen, am Anfang der Menschheitsgeschichte stehe nicht nur ein einziges Menschenpaar (Monogenismus), das menschliche Leben habe sich im Prozeß der Evolution vielmehr etwa gleichzeitig an mehreren Stellen herausgebildet (Polygenismus oder gar Polyphyletismus). Das kirchliche Lehramt vertrat demgegenüber die Überzeugung, es sei nicht ersichtlich, wie die letztere Meinung mit der Lehre von der Ur- und Erbsünde vereinbar sei (vgl. DS 3897; NR 363). Die Lehre von dem einen am Anfang
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