Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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Wertungen ganz abhängig von ihren Eltern; aber sie machen jetzt ihre ersten Erfahrungen von Schuld im Sinne von Normübertretungen. Es ist zu beobachten, daß Fünfjährige sich durchaus quälen können im Bewußtsein, zum Beispiel etwas kaputtgemacht zu haben. Um so mehr sollten solchen frühen Schulderfahrungen Vergebungserfahrungen entsprechen. Es ist wichtig, daß sich die Kinder trotz dieser oder jener Normübertretung im Grunde angenommen wissen.

In den ersten Jahren der Schulzeit wird das Wissen um die sittlichen Regeln weiter geschult; das Kind lernt, diese immer mehr auf die Wirklichkeit seines eigenen Lebens anzuwenden. Eine entscheidende Phase zur Heranbildung des mündigen Gewissens eines Erwachsenen beginnt in der Pubertät und setzt sich in der Adoleszenz fort. Beide Phasen sind wie zwei Seiten eines einzigen Prozesses, in dem der Jugendliche von seinen Eltern und den bisherigen Autoritäten Abstand gewinnen muß; immer mehr wird ihm deutlich, daß er selbst sein Leben leben muß, daß ihm die Verantwortung dafür niemand abnimmt. Durch Krisen hindurch muß er seine eigene Identität finden. Er kann nicht mehr einfach durch die Eltern und die Institutionen seiner Kindheit seine Wertmaßstäbe bilden lassen. Er muß selbst zu ihnen stehen können. Aber er kann sie nicht selber schaffen; deswegen sucht er in der Ablösung von den Eltern neue Leitbilder und bildet vor allem an ihnen seine eigenen Wertvorstellungen aus. In dieser Phase pflegt der Einfluß der jugendlichen Bezugsgruppe sehr groß zu sein, in der der einzelne sich bewegt. Immer mehr wird der Mensch mitverantwortlich für die Bildung seines eigenen Gewissens.


So sehr eine ethische Entscheidung eines einzelnen Menschen nur ihn selbst betreffen mag, so bleibt diese doch eingebunden in den Wertungshorizont von Tradition und Glaubensgemeinschaft. Der verantwortlich Handelnde soll sagen können: Jeder andere an meiner Stelle und unter meinen Voraussetzungen müßte ebenso handeln. Dem entspricht, daß der Mensch in wichtigen Fragen ethischer Entscheidung nach Vergewisserung Umschau hält. Im Suchen nach Ver-gewisserung begegnet er tatsächlich einem Konsens über unverzichtbare Grundwerte. Darüber hinaus trifft er Menschen, deren Handeln ihn überzeugt und die sich in ethischen Fragen als kompetent ausweisen. Ihre Urteile sind für das eigene Handeln mitzubedenken. Denn um Sicherheit und Eindeutigkeit im sittlichen Urteil zu gewinnen, sind wir auf Kommunikation angewiesen. In ihr begegnen uns sittliche Erfahrungen und Gegenerfahrungen. In ihr werden wir vertraut mit sittlichen Einstellungen und Urteilen, die sich menschlich bewährt haben. Ethische Erfahrung lehrt uns zu fragen: Was würde der oder jener, den ich schätze und von dessen Lauterkeit ich überzeugt bin, sagen, wenn er mich so oder so handeln sähe? Aus solchen Erfahrungen läßt sich einsichtig machen, daß ethische Grundanschauungen und Gewissensbildung eine soziale Dimension haben. Denn in dem Maße, in dem ein Mensch sein ethisches Handeln mit seinem Glauben verbunden weiß, wird er nach einer gemeinsamen Überzeugung
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