Gewissens gewahr, daß jede Zeit unseres Lebens und jede Situation, bis in den Alltag hinein, eine Zeit der Gnade (Kairos) ist. Wachen Gewissens sollen wir auch offen sein für neue Ziele, für bessere Einsichten und für die Bereitschaft, überholte Standpunkte aufzugeben.
Zur Wachsamkeit gehört innere Freiheit. Dies besagt gerade nicht, daß ein Mensch bindungslos ist, sondern daß er sich durch nichts und niemand manipulieren läßt. Hierin erweist das Gewissen seine Selbständigkeit. Diese ist nicht immer leicht zu verwirklichen. Unabhängig und selbständig Wertentscheidungen durchzuhalten erfordert Mut und innere Kraft, besonders dann, wenn mit Widerstand oder gar Bestrafung und Verfolgung zu rechnen ist.
Ein besonderes Kennzeichen des mündigen Gewissens ist seine Empfindsamkeit für Gut und Böse. Menschen mit einem empfindsamen Gewissen haben ein besonderes Gespür dafür, daß sie kostbare Schätze in zerbrechlichen Gefäßen tragen. Das empfindsame Gewissen reagiert auf jede Abweichung von der Grundausrichtung und auf jedes Fehlverhalten. Wir begegnen einer solchen Sensibilität bei Menschen, die sich in die Situationen von Armen, Kranken und Unterdrückten hineinfühlen und sich gegen Ungerechtigkeit, Unfrieden und Zerstörung der Schöpfung einsetzen. Solche Empfindsamkeit ist Zeichen eines mündigen Gewissens und hat nichts zu tun mit jener Überempfindlichkeit des skrupulösen Gewissens, das zwanghaft seiner Überängstlichkeit ausgeliefert ist.
Die Sensibilität als emotionales Element des Gewissens soll immer verbunden sein mit der Klugheit als dem intellektuellen Element des Gewissens. Klugheit darf nicht verwechselt werden mit jener Schlauheit und Berechnung, die bestrebt ist, immer und überall ungeschoren davonzukommen, und nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Klugheit ist vielmehr jene Tugend, die dazu befähigt, die verschiedenen Situationen zu durchleuchten und sie daraufhin zu beurteilen, ob und wie in ihnen sittlich verantwortbares Handeln zu verwirklichen ist. In der christlichen Ethik gilt die Klugheit als bevorzugte sittliche Tugend. Sie ist durchformt von der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Diese ruft das Gewissen auf, die "Torheit des Kreuzes" anzunehmen und die berechnende "Weisheit der Weisen vergessen und die Klugheit der Klugen verschwinden" zu lassen (1 Kor 1,19). Das
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