Band I - Zweiter Teil Jesus Christus
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ist freilich nicht ohne menschlichen Sachverstand möglich.

Jesus faßt seine sittliche Forderung zusammen in dem Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe. Dabei bindet er zwei Einzelgebote des Alten Testaments zusammen (vgl. Dtn 6,5; Lev 19,18.34).
"Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben
mit ganzem Herzen und ganzer Seele,
mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft.
Als zweites kommt hinzu:
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden." (Mk 12,30-31)
Diese und andere Worte Jesu, die unmittelbar auf eine Veränderung des menschlichen Verhaltens, indirekt aber auch der gesellschaftlichen Verhältnisse hindrängen, finden ihre letzte Zuspitzung in der Forderung der Feindesliebe (Lk 6,27-36). Sie hat ihre tiefste Begründung in dem Wort: "Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!" (Lk 6,36). Die Radikalität der Forderungen Jesu erklärt sich also aus der Botschaft von der jetzt anbrechenden Gottesherrschaft und der darin erfahrenen Liebe Gottes, die zu gleicher Liebe bis zum Äußersten gegenüber den Mitmenschen verpflichtet. Mit dieser sittlichen Botschaft hat Jesus keine unmittelbaren Handlungsanweisungen gegeben, aber Maßstäbe gesetzt, die für die Begegnung der Menschen und das Zusammenleben der Völker unübersehbare Signale setzen. "Denn die Verheißungen des Reiches Gottes sind nicht gleichgültig gegen das Grauen und den Terror irdischer Ungerechtigkeit und Unfreiheit, die das Antlitz des Menschen zerstören" (Gern. Synode, Unsere Hoffnung I,6). Die Hoffnung auf das Reich Gottes macht nicht indifferent, sondern vielmehr sensibel für die Fragen des Friedens, der Gerechtigkeit und der Freiheit in der Welt.

Jesus fordert nichts, was er nicht selbst vorlebt. Er geht den Weg voran. Sein eigenes Verhalten ist gekennzeichnet durch Liebe, Barmherzigkeit, Treue, Friedfertigkeit, Vergebungsbereitschaft. Er ist "nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen" (Mk 10,45). So gehört zur Botschaft Jesu der Ruf in die Nachfolge:
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