Band I - Zweiter Teil Jesus Christus
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ist auch die Feier des Letzten Mahles zu verstehen, das Jesus vor seinem Tod mit seinen Jüngern gehalten hat und das den "Neuen Bund" Gottes anzeigt (vgl. Mk 14,17-25). Jesu ganzes Leben und Wirken macht die verborgene Wirklichkeit Gottes, seine machtvolle, heilschaffende Gegenwart und seinen Anruf an die Menschen offenbar. Deshalb kann Jesus im vierten Evangelium sagen: "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen" (Joh 14,9).

Von besonderer Bedeutung sind die außergewöhnlichen Taten Jesu, die wir Wunder nennen. In ihnen erfüllte sich etwas von der Verheißung der Propheten:
"Blinde sehen wieder, Lahme gehen,
und Aussätzige werden rein;
Taube hören, Tote stehen auf,
und den Armen wird das Evangelium verkündet."
(Lk 7,22; vgl. Jes 35,5-6 u. a.)
Diese Wunderberichte der Evangelien sind für uns heute mit vielen Problemen behaftet. Freilich ist der uns geläufige Wunderbegriff, der am naturwissenschaftlichen Denken der Zeit orientiert ist und nach der Möglichkeit einer Durchbrechung der Naturgesetze fragt, der Bibel fremd. Ihr geht es um den Glauben an Gott, den Schöpfer der Welt und den Herrn der Geschichte, der in allen seinen Werken "wunderbar" ist, aber auch in außergewöhnlichen Taten seine Macht offenbaren kann. Über das Wie solchen Geschehens, besonders über das Verhältnis zu den natürlichen Ursachen und Kräften, die Gott benutzen kann, macht sich die Bibel noch keine Gedanken, so daß ihre Darstellung auf uns unreflektiert und naiv wirkt. Hinzu kommen historische Probleme. Die biblischen Wunderberichte sind nämlich nach bestimmten Erzählmustern entworfen, die in der damaligen Zeit üblich waren. So liegen über jenen Darstellungen für uns mehrere Decken, die uns das Verständnis erschweren: ein uns fremd gewordenes Denken, das ein anderes Verhältnis zur Natur hatte und eine andere Auffassung von "geschichtlichen" Berichten, eine andere Darstellungsweise, die mehr das Typische als das Konkrete der Vorgänge herausstellt.

Trotz dieser Schwierigkeiten wagt auch streng historische Kritik nicht zu bezweifeln, daß durch Jesus außerordentliche, unerklärliche Ereignisse, besonders Heilungen, geschehen sind. Die Heilungsberichte enthalten nicht selten genaue Angaben über die beteiligten Personen, mit Namen und Umständen. Der Zulauf der Menschen, der Ruf, der sich von Jesus verbreitet, die Hilflosigkeit der Gegner, die seine Taten nicht abstreiten können, die schon früh nach Ostern einsetzende Überlieferung der Wunderberichte zu einer Zeit, in der die Augen- und Ohrenzeugen des Auftretens Jesu noch lebten: das alles läßt sich anders nicht begreifen. Die moderne Naturwissenschaft beschränkt sich bei ihrer Wirklichkeitsbetrachtung bewußt auf die innerweltlichen Faktoren; sie sieht von der Frage nach Gott bewußt ab. Das ist von den methodischen Voraussetzungen
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