Band I - Zweiter Teil Jesus Christus
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Rolle. Wir brauchen dabei nur an den Ruf "Kyrie eleison", "Herr, erbarme dich" zu denken. Alle liturgischen Gebete schließen mit der Formel "durch Christus, unseren Herrn". Das Neue Testament nennt die Eucharistie insgesamt das "Herrenmahl" (vgl. 1 Kor 11,20) und den Tag, an dem wir uns dazu versammeln, den "Herrentag" (vgl. Offb 1,10).

Mit dem Bekenntnis "Ich glaube an den einen Herrn Jesus Christus" stehen wir also bei den Anfängen unseres christlichen Glaubens wie in seiner innersten Mitte. Um so dringlicher ist die Frage: Was meint dieses Bekenntnis? Wie können wir es heute verstehen?

Wenn wir heute jemanden als Herrn anreden, verbinden wir damit keinen tieferen Sinn. "Herr" ist für uns eine geläufige Höflichkeitsform, die jedem erwachsenen oder auch schon heranwachsenden Mann zusteht und deshalb nichts Besonderes und Auszeichnendes beinhaltet. Anders in früheren Zeiten! Die Herren waren die Freien, die Adeligen und die Höhergestellten, die Maßgebenden, die sich von den Sklaven und den Knechten wie vom gemeinen Mann und vom gewöhnlichen Volk unterschieden. Unserem modernen demokratischen Empfinden ist solches Herrschaftsdenken und -gebaren verpönt. Selbst wenn es im gesellschaftlichen Leben auch heute noch vielerlei Unterordnungen gibt, gelten doch vor dem Gesetz alle grundsätzlich als gleich. Wo man, wie im Sozialismus, von der Vorstellung einer grundsätzlich herrschaftsfreien Gesellschaft ausgeht, ersetzt man deshalb die Anrede "Herr" durch "Genosse". Das Christentum spricht von der Brüderlichkeit aller Menschen. Diese wenigen Beobachtungen zeigen, daß das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Herrn alles andere als eine nichtssagende Floskel darstellt. Hier wird ein Anspruch formuliert, der eine Antwort verlangt. Es geht im Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Herrn um die Frage nach dem Maßstab und der Orientierung in unserem Leben.

Im Alten Testament ist "Herr" eine Würdebezeichnung, die allein Gott gebührt. Der neutestamentliche Titel "Herr" ist die Übersetzung des alttestamentlichen Gottesnamens Jahwe. Wenn nun die frühe Kirche diesen Titel für Jesus Christus in Anspruch nimmt, sagt sie damit: In Jesus Christus bricht Gottes Herrschaft an, in ihm tritt Gott selbst auf den Plan, ja, er ist selbst göttlichen Wesens. Das Bekenntnis zu Jesus Christus,
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