Band I - Zweiter Teil Jesus Christus
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ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit, wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm" (1 Kor 12,26). Nach katholischem Verständnis bringt das Vertrauen in die fürbittende Mittlerschaft Marias in besonderer Weise das Geheimnis zum Ausdruck, daß Gott sich einzelner Menschen bedient, um anderen Menschen das Heil zu schenken. So ist in Maria das Menschengeschlecht insgesamt geehrt.

Um der Verehrung und dem Vertrauen auf die Fürbitte Marias Ausdruck zu geben, gebraucht die katholische Frömmigkeit vielfältige Titel für Maria. Neben den genannten: Mutter, Fürsprecherin, Helferin, Mittlerin, gibt es viele, oft überschwengliche und für nichtkatholische Christen leicht mißverständliche und anstößige Aussagen, die aber, im Gesamtzusammenhang verstanden, durchaus einen richtigen Sinn haben können. Dies gilt vor allem von dem Titel "Mittlerin aller Gnaden". Mit dieser Bezeichnung soll keineswegs ausgeschlossen oder auch nur verdunkelt werden, daß Jesus Christus der einzige Mittler ist; es soll vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, daß Maria mit ihrem Ja das Kommen dieses Mittlers aller Gnaden stellvertretend für alle angenommen hat und daß sie Jesu Heilsvermittlung bleibend durch ihre Fürsprache begleitet. - Um zu sagen, daß Maria an Gnadenfülle alle anderen Heiligen überragt, wird sie als Königin des Himmels angerufen und verehrt. Dies geschieht am bekanntesten im "Salve Regina", "Sei gegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit" (11. Jh.) (Gotteslob 32,1; 570) oder im "Regina caeli", "Freu dich, du Himmelskönigin" (12. Jh.) (Gotteslob 2,8; 574). - Um schließlich die in der Heilsgeschichte begründete einmalige Stellung Marias als Urbild der Kirche auszudrücken, bezeichnet man Maria nicht nur als Mutter der Christen, sondern auch als Mutter der Kirche.

Bei diesen und vielen anderen Formen der Marienverehrung ist auf die Mahnung zu achten, die Papst Paul Vl. in seinem Apostolischen Schreiben über die Marienverehrung (1974) an die Kirche gerichtet hat. Der Papst forderte eine Erneuerung der Marienverehrung, die, biblisch ausgerichtet, trinitarisch und christologisch geprägt, ohne Abstriche zu machen, Rücksicht nimmt auf die Andersgläubigen und die den Ausdrucksformen der jeweiligen Zeit und Kultur entspricht. Ausdrücklich warnt er mit dem II. Vatikanischen Konzil (vgl. LG 67) vor falschen Formen der Marienfrömmigkeit, welche die Grenzen der rechten Lehre überschreiten, leichtgläubig und neugierig an neuesten Wunderberichten interessiert sind, sich mehr in äußeren Praktiken erschöpfen oder sich in oberflächlicher Sentimentalität ergehen. Letztes Ziel aller Marienverehrung muß die Verherrlichung Gottes und die Verchristlichung des Lebens sein. In dieser Hinsicht hat die katholische Marienfrömmigkeit reiche Frucht getragen.
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