Ohnmacht und Unfähigkeit, das Heil selbst herbeizuschaffen. In der Situation, in der die Menschen keinen Ausweg mehr wußten, hat Gott auf wunderbare Weise durch die neuschaffende Macht seines Geistes einen neuen Anfang gesetzt. Nicht umsonst steht im Neuen Testament die Jungfräulichkeit auch sonst im Zusammenhang des Kommens des Reiches Gottes (vgl. Mt 19,12; 1 Kor 7,7.32-34).
Marias Jungfräulichkeit steht auch in engem Zusammenhang mit ihrer Gottesmutterschaft. Wenn Gott bei der Menschwerdung seines Sohnes nicht den normalen Weg der menschlichen Zeugung gegangen ist, so ist dies nicht Willkür; vielmehr steht der Weg der jungfräulichen Geburt in einer zeichenhaften Entsprechung zur Menschwerdung Gottes. Denn die Jungfrauengeburt bringt mit nicht mehr überbietbarer Deutlichkeit zum Ausdruck, daß sich Jesus als Sohn Gottes einzig und allein seinem Vater im Himmel verdankt, daß er alles, was er ist, von ihm her und auf ihn hin ist. Die Jungfrauengeburt ist also ein Zeichen der wahren Gottessohnschaft Jesu.
Auch die Glaubenswahrheit von der immerwährenden Jungfrauschaft Marias, also der Jungfräulichkeit, nicht nur vor, sondern auch in und nach der Geburt Jesu, hat eine tiefe zeichenhafte Bedeutung. Leider hat das Dogma von der Jungfräulichkeit in der Geburt im Anschluß an apokryphe Schriften oft zu unangemessenen Überlegungen über die Art der Geburt Jesu verleitet. Doch gerade damit hat man den tiefen heilsgeschichtlichen Sinn dieser Aussage mißverstanden. Nach Gen 3,16 ist das Gebären unter Schmerzen ein Zeichen der tiefen Störung im Zusammenhang des Lebens, eine Folge der Erbsünde. Jetzt, da das neue Leben erscheint und die Erlösung von der erbsündlichen Verfallenheit einsetzt, kommt das Leben nicht mehr unter dem Vorzeichen des Todes und seines Vorboten, des Schmerzes, zur Welt; jetzt wird die in sich zerrissene Kreatur wieder ganz und heil. Nicht der physiologische Vorgang der Geburt war anders; vielmehr war dieses Geschehen vom personalen Mitvollzug her ein Zeichen des Heils und des Geheiltseins des Menschen. Die Tradition spricht deshalb von der Freude Marias bei der Geburt ihres Sohnes. Das alte Marienlied "Ave maris stella" (9. Jh.) nennt sie die "felix caeli porta", die "glückselige Pforte des Himmels" (Gotteslob 596).
Die Jungfräulichkeit Marias nach der Geburt Jesu meint, daß Maria nach der Geburt Jesu Jungfrau blieb und keinen weiteren Kindern das Leben schenkte. Diese Glaubenswahrheit ist eine letzte Ausstrahlung ihres Ja-Wortes und ihrer bedingungslosen Verfügbarkeit für Gott und seinen Willen. Maria war von ihrer heilsgeschichtlichen Aufgabe ganz in Anspruch genommen. So ist die immerwährende Jungfräulichkeit Marias ein Zeichen ihrer Heiligkeit, d. h. ihres Ausgesondertseins zum Dienst für Gott und sein Volk. Diese Wahrheit des Glaubens war in der Geschichte von großer Bedeutung für das Ideal der frei gewählten Ehelosigkeit. Dieses Ideal bedeutet keine Abwertung der Ehe, vielmehr deren Aufwertung zu einem eigenständigen Dienst in Kirche und Gesellschaft.
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