Band I - Zweiter Teil Jesus Christus
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ist, wie die Ostkirche sagt, die "Ganz-Heilige". Ganz, d. h. von allem Anfang an und in allen Dimensionen.

Es war ein langer und schwieriger Weg, der zu diesem Dogma führte. Große Heilige und Theologen standen im Für und Wider gegeneinander. Selbst ein Heiliger und glühender Marienverehrer wie Bernhard von Clairvaux wandte sich im 12. Jahrhundert gegen die Einführung des Festes von der Unbefleckten Empfängnis (8. Dezember). Das Grundproblem war: Wie läßt sich diese Glaubenswahrheit damit vereinbaren, daß Maria wie wir alle durch Jesus Christus, in dem allein Heil ist, erlöst wurde? Die Antwort, welche die Theologen aus dem Franziskanerorden, besonders Johannes Duns Scotus, schließlich gaben und die auch in die Dogmatisierung einging, lautete: Die Erlösungstat wirkt bei Maria voraus und hat bei ihr die Gestalt der Bewahrung von der Sünde. Ein solches Vorauswirken finden wir schon im Alten Bund, dort jedoch nur schattenhaft, bei Maria in Fülle. Dem ganzen Ja des Glaubens in der Fülle der Zeit entspricht die Fülle der Erlösungsgnade. Maria ist also ein Glied der erlösungsbedürftigen Menschheit. Sie ist der vollkommene, urbildliche, reine Fall der Erlösung überhaupt. In ihr und in ihr allein ist die Kirche ohne Makel und Runzel (vgl. Eph 5,27), die sonst erst eine endzeitliche Hoffnung ist, schon jetzt verwirklicht. So ist Maria, die Ganz-Heilige, Zeichen der erwählenden, berufenden und heiligenden Gnade für uns Sünder. Darum dürfen wir beten: "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder..."

4.2 Maria als Zeichen der Hoffnung

Das jüngste marianische Dogma betrifft die leibliche Aufnahme Marias in die himmlische Herrlichkeit. Auch für dieses Dogma gibt es kein direktes biblisches Zeugnis, in der Tradition wird diese Glaubenswahrheit erst vom 6. Jahrhundert an bezeugt, zunächst in legendenhaften Berichten, die, obwohl sie historisch keinen Wert besitzen, dennoch eine Glaubensüberzeugung zum Ausdruck bringen. Wie das seit dem 5. Jahrhundert bekannte Fest "Mariä Heimgang", später: "Mariä Himmelfahrt" (15. August), zeigt, stimmt die Kirche seither über viele Jahrhunderte in dieser Glaubensüberzeugung überein. Insofern handelt es sich inhaltlich nicht um ein neues Dogma, sondern um eine jahrhundertealte Überlieferung. Sie hat indirekt und einschlußweise im Gesamtzusammenhang der Heiligen
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