Band I - Zweiter Teil Jesus Christus
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dabei aber Aufruhr und Gewalt verurteilte? Historisch lassen sich im Kräftespiel gesellschaftlicher Gruppen und politischer Strömungen genügend Gründe nennen, um die Beseitigung eines unbequemen Volksführers und lästigen Mahners begreiflich zu machen. Auch Johannes der Täufer hatte das Schicksal nicht weniger Gottesmänner und Propheten in Israel geteilt. Jesus geriet mit seiner Zuwendung zu unterdrückten Klassen, seiner Kritik an pharisäischer Gesetzesübung und sadduzäischer Tempelverwaltung, durch sein offenes Wort und sein provozierendes Verhalten in Konflikt mit den herrschenden und einflußreichen Kreisen seines Volkes. Doch auch die Menge des Volkes, die ihm als Arzt und Wundertäter zuströmte und seinen Predigten begierig zuhörte, drang nicht zu einem klaren und entschiedenen Glauben vor.

Der Verlauf und die Hintergründe des Prozesses Jesu vor dem Hohen Rat sind historisch nicht klar durchschaubar. Offensichtlich hat einer aus dem engeren Jüngerkreis Jesu, Judas Iskariot, Jesus gegen Geld den Hohenpriestern verraten. Wahrscheinlich haben die politisch einflußreichen Kreise des sadduzäischen Priesteradels dann die Auslieferung an das Gericht des wegen seiner rigorosen und provozierenden Amtsführung den Juden aufs äußerste verhaßten römischen Prokurators Pontius Pilatus betrieben. Der Ausgang des Prozesses ist durch den von allen Evangelien bezeugten überlieferten Kreuzestitel "König der Juden" (Mk 15,26 par.) eindeutig. Während Jesus vom Hohen Rat aus religiösen Gründen verurteilt wurde, ließ ihn Pontius Pilatus als politischen Rebellen am Kreuz hinrichten. Dieses Zusammenspiel zeigt, daß man im Urteil über die "Schuld" der Juden zurückhaltend sein muß. Auf keinen Fall ist das ganze jüdische Volk für die Verwerfung Jesu verantwortlich zu machen, und auch die damaligen jüdischen Autoritäten tragen nicht die Alleinschuld. Jüdische und römische Autoritäten haben Jesus gemeinsam zu Fall gebracht.

Jesus selbst mußte, zumal ihm das Schicksal Johannes des Täufers vor Augen stand, bei der wachsenden Feindschaft der maßgebenden Kreise mit seinem gewaltsamen Tod rechnen. Nach den Evangelien hat er seinen Tod vorausgesehen und in drei Leidensweissagungen als von Gott gewollten Heilstod gedeutet (vgl. Mk 8,31; 9,31; 10,33-34). In diese Leidensweissagungen ist jedoch bereits die Deutung der urkirchlichen Überlieferung eingegangen. Aber es gibt in anderen Sprüchen und
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