In diesem Zusammenhang sind auch die uns heute so schwer verständlichen Aussagen vom Kreuz als Sühne und Genugtuung zu verstehen. Im Hintergrund der Vorstellung vom Tod bzw. vom Blut Jesu als Sühnemittler für unsere Sünden (vgl. Röm 3,25; 1 Job 2,2; 4,10) steht wiederum die Vorstellung von einem großen solidarischen Ordnungszusammenhang des Volkes bzw. der ganzen Menschheit im Guten wie im Bösen. Weil die Sünde des einzelnen jeweils alle betrifft und die Ordnung des Volkes "vergiftet", bedarf jede Schuld des sühnenden Ausgleichs. Da sich die Sünde gegen Gott richtet, kann jedoch der Mensch selbst diesen Ausgleich nicht leisten. Dies kann, wie vor allem Anselm von Canterbury (11. Jh.) dargelegt hat, nur Gott selbst leisten. Gott ist es, der Versöhnung stiftet und so einen neuen Anfang setzt (vgl. 2 Kor 5,18). So führt das Sühnemotiv zurück zum Stellvertretungsgedanken und zum Motiv der erbarmenden Liebe Gottes. Frömmigkeitsgeschichtlich ist der Stellvertretungs- und Sühnegedanke vor allem in der Theologie des Martyriums und in der Herz-Jesu-Frömmigkeit wirksam geworden.
Ebenfalls schwer verständlich ist für uns heute die biblische Idee vom Opfertod Jesu. Davon spricht schon der Bericht von der Einsetzung des Abendmahls bei Matthäus und Markus, in dem er vom "Blut des Bundes" spricht (Mk 14,24; Mt 26,28). Für Paulus ist Jesus das geopferte Paschalamm (vgl. 1 Kor 5,7), für Johannes das Lamm Gottes, "das die Sünde der Welt hinwegnimmt" (Job 1,29). Wollen wir den tieferen Sinn des Opfergedankens verstehen, dann müssen wir uns klarmachen, daß es beim Opfer nichtprimär auf die äußeren Opfergaben ankommt. Die dargebrachten Opfergaben sind nur als Zeichen der personalen Opferhaltung sinnvoll; diese innere Haltung muß sich freilich äußern und verleiblichen. Bei Jesus wird die personale Selbsthingabe ganz eins mit der Opfergabe; sein Opfer ist ein Selbstopfer; er ist Opferpriester und Opfergabe in einem. So war sein Opfer das vollkommene Opfer, die Erfüllung aller anderen Opfer, die nur schattenhafte Vorausbilder dieses einen, ein für allemal dargebrachten Opfers sind (vgl. Hebr 9,11-28). Deshalb kann der Hebräerbrief sagen, daß es bei diesem Opfer nicht um eine äußere, dingliche Opfergabe geht, sondern um die Selbsthingabe Jesu im Gehorsam gegenüber dem Vater (vgl. Hebr 10,5-10). Durch diese stellvertretende Ganzhingabe wird die Gott entfremdete Menschheit wieder ganz eins mit Gott. So ist Jesus durch sein einmaliges Opfer der eine Mittler zwischen Gott und den Menschen (vgl. 1 Tim 2,5).
In allen diesen vielfältigen Aussagen geht es im Grunde um ein und dasselbe Thema. Sie wollen auf immer wieder neue Weise die zuvorkommende und rettende Liebe Gottes verkünden, die Jesus Christus durch seinen Gehorsam und durch seine Hingabe stellvertretend für uns ein für allemal ergriffen hat, um so Frieden zu stiften zwischen Gott und den Menschen wie zwischen den Menschen untereinander. So kann der Epheserbrief sagen: "Er ist unser Friede" (Eph 2,14). In ihm sind die Entfremdungen, welche die Sünde zwischen Gott und dem Menschen, zwischen den Menschen und im Menschen selbst verursacht hat, wieder geheilt und versöhnt. So ist das Kreuz schließlich Zeichen des Sieges über alle Gott und den
|