Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
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sich nicht gegen das Schwören als solches, sondern gegen die Unsitte des unnötigen, leichtfertigen Schwörens, weil man Gott nicht ohne Grund zum Zeugen anrufen soll. "Ihr sollt überhaupt nicht schwören!" (Mt 5,43) ist im Rahmen der Bergpredigt eine jener absoluten Forderungen, die Jesus von seiner Reich-Gottes-Verkündigung her stellt; sie ist und bleibt wegweisend. Allerdings betrifft sie, wie die Formulierung zeigt, das mitmenschliche Verhalten wohl vor allem zur Bekräftigung eines Versprechens und nicht unmittelbar die Eidesableistung vor Gericht. Das zeigt sich daran, daß Jesus gegen die beschwörende Frage des Hohenpriesters nicht protestiert hat (Mt 26,63). Das Sich-Verwünschen und Schwören des Petrus in der Verleugnungsgeschichte dagegen wird eindeutig negativ bewertet (Mt 26,74). In einem positiven Sinn begegnen aber auch bei Paulus Anrufungen Gottes als Zeugen zur Bekräftigung dafür, daß er nicht lügt (2 Kor 1,23; 11,31; vgl. Röm 1,9; Phil 1,8). Das Schwurverbot Jesu muß auf jeden Fall vor einem unnötigen Gebrauch des Eides warnen, weil damit die Ehrfurcht vor der Heiligkeit Gottes mißachtet wird.

In der kirchlichen Tradition wird die Erlaubtheit des Schwörens grundsätzlich bejaht (Ambrosius, Augustinus). Sie wird aber von verschiedenen Gemeinschaften immer wieder in Frage gestellt. Wie bereits früher die Katharer, Waldenser und Wiedertäufer (letztere nur den Versprechenseid), lehnen heute die Mennoniten, Herrnhuter und Quäker unter Berufung auf die Heilige Schrift jede Art von Eidesleistung ab.

Die katholische Kirche sucht der Forderung der Heiligen Schrift dadurch zu entsprechen, daß sie die Eidesleistung möglichst einschränkt und sie nur für erlaubt ansieht, wenn schwerwiegende Gründe dafür sprechen. Nach den Rechtsnormen der Kirche darf ein Eid, das heißt die Anrufung des göttlichen Namens als Zeugen für die Wahrheit, nur geleistet werden in Wahrheit, Überlegung und Gerechtigkeit. Die Voraussetzungen für die gültige Eidesleistung sind ähnlich wie beim Gelübde (vgl. CIC, can. 1199; 1204).

Auch die evangelische Theologie bekräftigt im Anschluß an Martin Luther die sittliche Erlaubtheit des Eides, der ein Bekenntnis zu Gott zum Ausdruck bringt, wobei weltliche Bereiche in die Herrschaft Gottes einbezogen sind.

Nach heutiger Rechts- und Staatsphilosophie muß es in Staaten, in denen Religion als Angelegenheit des einzelnen angesehen wird, dem einzelnen Menschen überlassen bleiben, ob er sich bei einer Eidesleistung auf Gott berufen will oder nicht. In einem religiös neutralen Staat darf niemand gezwungen werden, einen religiösen Eid zu leisten.


Wichtiger als die rechtliche Regelung von Eidesleistungen ist jedoch, daß der sittliche Charakter des Eides das eigentliche Fundament der rechtlichen Regelung ist. Das zeigt sich besonders, wenn jemand einen Meineid leistet. Wer sich beim Meineid auf Gott beruft, mißbraucht den Namen Gottes, indem er ihn in seine falsche Aussage und sein unaufrichtiges Versprechen hineinzieht. Wer einen Meineid leistet, verstößt auch dann gegen die sittliche Ordnung, wenn er dabei nicht Gott ausdrücklich zum Zeugen anruft. Dazu kommt, daß der Meineid ein
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