Band I - Erster Teil Gott der Vater
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wird, zu nennen. Seit Kopernikus und Kepler wissen wir: Die Erde ist nicht der kosmische Mittelpunkt der Welt, um den sich alles dreht. Darwin entwickelte im letzten Jahrhundert die Lehre von der Evolution des Lebens, auch des menschlichen Lebens. Damit war die bisherige Vorstellung von der unmittelbaren Erschaffung des Menschen durch Gott für viele erschüttert. Freud entdeckte das Tiefenbewußtsein des Menschen. Die Frage nach der Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen war damit neu gestellt. Immer mehr glaubten die modernen Wissenschaften, die Welt ohne Gott erklären zu können. Gott schien entbehrlich geworden zu sein, die Religion eine inzwischen überholte Bewußtseinsstufe der Menschheit. So glaubte der Mensch, mündig geworden zu sein, um die Welt aus sich selbst erklären und gestalten zu können.

In der Religionskritik meinte der mündig gewordene Mensch auch den Gottesglauben erklären zu können: als Wunschbild und Wunscherfüllung des Menschen (L. Feuerbach, S. Freud), als Ausdruck und Rechtfertigung einer schlechten Welt, als Vertröstung und als Opium des Volkes (K. Marx), als Zeichen des Ressentiments gegen das Leben (F. Nietzsche). Wird Gott so verstanden, dann ist er nicht nur entbehrlich, er ist auch hinderlich für die freie Selbstverwirklichung des Menschen und für die Wahrnehmung seiner Verantwortung in der Welt. So wurde Gott als tot erklärt (F. Nietzsche), nicht nur im Namen der Wissenschaften, sondern auch im Namen des Menschen und seiner Freiheit.

Der moderne Atheismus hat viele Gesichter. Es gibt nach wie vor den kämpferischen Atheismus, der die Religion ausrotten möchte und sich dabei oft nicht nur der geistigen Auseinandersetzung, sondern auch der Mittel der Unterdrückung, Diskriminierung und Verfolgung bedient. In unseren westlichen Gesellschaften dagegen begegnet uns der indifferente Atheismus. Er ist selbst müde und weithin gleichgültig geworden und bekämpft die Religion zumindest nicht mehr offen. Der Gottesglaube ist für ihn überholt; er meint, die letzten Überreste der Religion würden von selbst absterben. Es gibt den platten Atheismus, der nur das annimmt, was man mit den Sinnen wahrnehmen oder mit dem Verstand beweisen kann. Daneben gibt es den Atheismus der Freiheit und Befreiung des Menschen von Abhängigkeiten aller Art, auch der Befreiung von einem
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