4.2 Wege der Gotteserkenntnis in der Menschheitsgeschichte
Die religiösen Menschen aller Jahrtausende glaubten in der Wirklichkeit der Welt Zeichen und Spuren des Göttlichen zu entdecken. In außerordentlichen, schauer- und staunenerregenden Naturphänomenen, etwa in Blitz und Donner, in der unversieglichen Fruchtbarkeit der Natur, aber auch in der Faszination bei der Begegnung zwischen Mann und Frau, in der Stimme des Gewissens erkannten sie ein göttliches Geheimnis. Später waren es nicht mehr so sehr die außerordentlichen Erfahrungen, die Ver-wunderung erregten, sondern die durchge
hende und beständige Ordnung der Natur, ihre Schönheit und Pracht, ihre Regelmäßigkeit und Harmonie. Wie sollte man sie anders erklären als durch einen alles ordnenden göttlichen Geist? So war die religiöse Überlieferung für große Denker schon sehr früh ein Anlaß, um tiefer über die Wirklichkeit nachzudenken, nach Ursprung und Grund der Welt zu fragen und dabei auf Gott zu stoßen.
Etwa vom 6. vorchristlichen Jahrhundert an begegnen uns in unserer abendländischen Kultur Denker, welche die religiöse Erfahrung und Überlieferung kritisch reflektierten und auf dem Weg des Denkens Gott zu erkennen suchten. Platon sprach von der Idee des Guten, Aristoteles vom unbewegten Beweger, Plotin vom Einen und Übereinen. Etwa gleichzeitig entstanden im asiatischen Kulturraum große religiös-philosophische Denksysteme. Auch viele neuzeitliche Philosophen suchten Gott denkend zu begreifen.
Der Gott der Philosophen ist freilich nicht unmittelbar der lebendige und persönliche Gott, den uns die Bibel bezeugt, sondern ein Weltgrund, ein Unbedingtes und Absolutes, das man nicht mit einem persönlichen Namen, sondern nur mit abstrakten Begriffen benennen kann. Zum Gott der Philosophen kann man nicht beten. Dennoch kommt dem philosophischen Bedenken Gottes als letztem Grund der Wirklichkeit eine wichtige Funktion zu. Es kann Verstehenszugänge zum Glauben erschließen und aufzeigen, daß der Glaube an Gott, so sehr er das reine Denken übersteigt, doch nicht unvernünftig ist.