Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
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Die Achtung vor dem leiblichen Leben des Menschen ist noch tiefer darin begründet, daß der Mensch zur Teilhabe am Leben Gottes berufen ist. Das Leben des Menschen steht für Jesus so hoch, daß das Sabbatgebot nicht nur in Todesgefahr, sondern schon bei einem körperlichen Leiden nicht mehr verpflichtet (Mk 3,4f). Das irdische Leben ist auf das Leben mit Gott hingeordnet (vgl. Mt 8,36f; Lk 12,19f), es kann in der Nachfolge Jesu geopfert werden (Mk 8,35 par.; Mt 10,28). Die Lebenszeit ist Zeit der Bewährung im Dienst an den Menschen und in guten Werken (Hebr 6,10; Jak 3,13; Offb 14,13). "Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch euer ganzes Leben heilig werden" (1 Petr 1,15).

Diese Einschätzung schließt - im Blick auf Gott als den "Gott der Lebenden" (Mk 12,27) - die Ehrfurcht vor dem Leben, das Recht auf Leben und den Schutz des Lebens ein.

1.3. Tötungsverbot und Liebesgebot

Auf den ersten Blick erscheint uns das Tötungsverbot als ein "Grenzgebot". Es gibt die Grenze an, die im Verhalten zum Mitmenschen nicht überschritten werden darf. Wer über diese Grenze hinausgeht, bringt den Tod und holt sich dadurch selbst den Tod: den Tod der Todsünde.

Der positive Sinn des fünften Gebotes ist das Ja des Menschen zum Mitmenschen, das im Ja des Menschen zu Gott und im Ja Gottes zum Menschen gründet.

Nach dem Alten Testament ist das "Ja zu Jahwe" nur dann ein vollgültiges Ja, wenn es sich mit Gott der Welt und den Menschen zukehrt. Ja zu Gott und Ja zum Menschen bilden das Fundament dessen, was die Bibel Liebe nennt. Darum faßt das Deuteronomium gleich nach der Verkündigung des Dekalogs (Dtn 5) die Grundforderung des "Ja zu Gott" in die Formel: "Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft" (6,4f). Im Gebot der Gottesliebe ist auch die Nächstenliebe angesprochen (vgl. Dtn 5,14f; 14,28-15,7; 16,18-20; 19,16-21). Ihre ausdrückliche Formulierung lautet: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (Lev 19,18). Das gilt auch gegenüber den Fremden (vgl. Lev 19,33f). Diese Offenbarung des göttlichen Willens
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