Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
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Menschen für den unvergleichlichen Wert und die Würde des Lebens bestärkt und vertieft.

In diesem Wachstumsprozeß ist immer stärker der positive Sinn des fünften Gebotes hervorgetreten. Das von allen Menschen anerkannte Gebot "Du sollst nicht töten" wandelt sich unter dem Einfluß der christlichen Verkündigung und unter der neuzeitlichen Wende zum Menschen in die Orientierung: "Bewahre das Leben." Diese positive Orientierung betrifft die Menschheit in der gewandelten Welt der Gegenwart in einer Dringlichkeit, wie sie in früheren Zeiten nicht in den Blick kommen konnte. Wissenschaftliche, technische, wirtschaftliche und politische Möglichkeiten haben die Größe, aber auch die Grenzen und Gefährdungen des menschlichen Lebens und seiner Welt deutlicher werden lassen als je zuvor. Die Verantwortung des Menschen erstreckt sich auf das eigene Leben in all seinen Bezügen, auf das Leben der anderen von Anfang bis Ende, auf das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft, der Nationen und der Völker und auf die Bewahrung der Schöpfung.

So ist das fünfte Gebot ein zugleich individuelles und soziales Gebot. Es ist nicht nur ein Ruf und eine kritische Anfrage an die Einstellungen und Haltungen jedes einzelnen Menschen, sondern auch an die von Menschen geschaffenen Strukturen, Organisationen und gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse. In alledem geht es um menschenwürdige und menschengerechte Bewahrung und Förderung des Lebens.

2. Entfaltung und Gestaltung des Lebens

2.1. Entfaltung des leiblich-geistigen Lebens

Unser Ja zum Leben, unsere Liebe zum Leben und unsere Ehrfurcht vor unserem Leben stellen uns immer wieder vor die Frage, wie wir das Leben entfalten und gestalten sollen. Manche Auffassungen vom Menschen werden der Verantwortung für das Leben nicht gerecht. Entweder überschätzen sie das Leiblich-Körperliche bis zur Leibvergötzung, oder sie würdigen es herab bis zur Leibverachtung.
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