4. Schutz des menschlichen Lebens an seinem Anfang
4.1. Fragen und Probleme um den Beginn des menschlichen Lebens
Je weniger ein Mensch sein Leben selbst schützen kann, um so mehr bedarf er eines Schutzes durch die Mitmenschen und durch die Gesellschaft. Aus der Einsicht, daß jedes Menschenleben Würde und Wert besitzt, setzt sich die Kirche für das schwache und hilflose menschliche Leben ein.
Dieses Ja zur Unantastbarkeit und Unverletzlichkeit des Lebens ist in weiten Teilen der heutigen Gesellschaft gegenüber dem vorgeburtlichen menschlichen Leben nicht so eindeutig wie gegenüber dem geborenen. Kindestötung gilt zwar allgemein als Verbrechen, aber bezüglich der Tötung der noch nicht geborenen Kinder ist das durchaus nicht überall der Fall. Tagtäglich werden unzählige ungeborene Kinder durch Abtreibung getötet, und es werden auch immer wieder Gründe für eine vermeintliche Berechtigung dafür angegeben. Schon die Tatsache, daß gegenwärtig in vielen Ländern eine sehr hohe Zahl von Schwangerschaften durch Töten des ungeborenen Kindes beendet wird, deutet darauf hin, daß sich im Bewußtsein der Gesellschaft eine veränderte Einstellung zum Wert des vorgeburtlichen menschlichen Lebens ausbreitet. Viele meinen, das noch nicht geborene Kind habe nicht die gleiche unantastbare Würde wie das geborene; es habe darum auch nicht in gleicher Weise ein unverletzliches Recht auf Leben; es falle darum sittlich und rechtlich auch nicht in gleicher Weise unter das Tötungsverbot wie das geborene Kind.
Tatsächlich begegnet uns in der Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens und nach dem Recht auf Leben eine Vielfalt von Anschauungen. Es gibt Theorien, die behaupten, von Menschsein und von Recht auf Leben könne erst dann die Rede sein, wenn das Kind das Licht der Welt erblickt habe (Geburt), wenn es außerhalb des Mutterleibes lebensfähig sei (etwa 28. Schwangerschaftswoche) oder wenn die embryonale Entwicklung beendet sei (60 Tage nach der Empfängnis). Solche Festsetzungen sind willkürlich oder von bestimmten Interessen geleitet. Das trifft auch für solche Theorien zu, die dem ungeborenen Kind erst dann ein Recht auf Leben zugestehen wollen, wenn es von der Mutter bejaht oder von der Gesellschaft akzeptiert oder nach ärztlicher Untersuchung für "lebenswert" erklärt wird.