Auch das Konzil wußte um die Schwierigkeiten, in der gegenwärtigen Lage des Menschengeschlechts Gott zu erkennen. Deshalb lehrt es nicht, daß alle Menschen Gott mit Sicherheit erkennen, ja, es sagt nicht einmal, daß es jemals Menschen gegeben hat, die Gott ganz ohne die Hilfe von Offenbarung mit letzter Gewißheit erkannt haben. Es erklärt nur, daß man Gott mit Hilfe der Vernunft aus der Welt erkennen kann. Das Konzil wollte damit festhalten, daß man jeden Menschen auf Gott hin ansprechen kann, so daß der christliche Glaube nichts Unvernünftiges oder gar Widervernünftiges ist. Glauben und Denken bilden keinen Gegensatz, weil wir im Glauben an die Offenbarung demselben Gott begegnen, auf den wir im Bedenken der Wirklichkeit als Schöpfer der Welt stoßen. Der Glaubende darf also darauf vertrauen, daß sich sein Glaube in der menschlichen Erfahrung und im Denken immer wieder neu bewährt.
Das II. Vatikanische Konzil (1962-1965) hat die Lehre des I. Vatikanischen Konzils aufgegriffen und in Auseinandersetzung mit dem modernen Atheismus konkretisiert und weitergeführt. Das Konzil geht davon aus, daß man den Menschen nur von seinem Ursprung und Ziel in Gott her verstehen kann:
"Die Kirche hält daran fest, daß die Anerkennung Gottes der Würde des Menschen keineswegs widerstreitet, da diese Würde eben in Gott selbst gründet und vollendet wird ... Wenn dagegen das göttliche Fundament und die Hoffnung auf das ewige Leben schwinden, wird die Würde des Menschen aufs schwerste verletzt, wie sich heute oft bestätigt, und die Rätsel von Leben und Tod, Schuld und Schmerz bleiben ohne Lösung, so daß die Menschen nicht selten in Verzweiflung stürzen." (GS 21)
Atheismus verfehlt letztlich nicht nur die Wahrheit Gottes, sondern auch die des Menschen. Deshalb wird er vom Konzil mit Entschiedenheit verurteilt. Nur durch das Geheimnis Gottes erhält das Geheimnis unseres Menschseins eine Antwort, die das Geheimnis nicht auflöst, sondern annimmt und vertieft. Nur wer Gott kennt, kennt auch den Menschen (R. Guardini).