Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
Seite 296 Seite: 297 Seite 298
Ungeborenes menschliches Leben nicht anzutasten ist nicht nur ein christliches, sondern ein allgemein menschliches Gebot. Schon im 5. Jahrhundert v. Chr. ließ Hippokrates, den man den Vater der Heilkunde nennt, seine Schüler schwören: "Ich werde niemandem ein tödlich wirkendes Gift verabreichen, auch auf Verlangen nicht. Ich werde auch keinen solchen verwerflichen Rat erteilen. Ebensowenig werde ich einer Frau ein Mittel zur Vernichtung keimenden Lebens geben." Diese Haltung spiegelt sich auch wider in der Erklärung des Weltärztebundes von Oslo (1970): "Der oberste moralische Grundsatz, der dem Arzt auferlegt ist, ist die Achtung des menschlichen Lebens, so wie es in einem Satz des Genfer Gelöbnisses ausgedrückt ist: ,Ich will höchste Achtung vor dem menschlichen Leben von dem Zeitpunkt der Empfängnis an wahren."

Drittens: Die Kirche kann weder allein durch moralische Appelle noch der Staat allein durch Gesetze die in der Gesellschaft schwindenden Werte schützen. Appelle und Gesetze müssen ergänzt werden durch konkrete Hilfen, besonders durch Wertvermittlung, durch Beratung in Konfliktsituationen und durch gesetzlich festgelegte Sozialmaßnahmen.

Viertens: Wo eine Beteiligung der Kirche in gesetzlichen Schwangerenberatungsstellen aus moralischen Gründen nicht vertretbar ist, stellt sich für die Kirche die Aufgabe, nach eigenen Wegen der Beratung zu suchen, deren Ziel die Erhaltung des ungeborenen menschlichen Lebens und wirksame Hilfe für die schwangere Frau ist.

Eine Beratung kann in vielen Fällen dazu führen, daß Frauen, die ursprünglich einen Abbruch vornehmen lassen wollten, ihre Absicht ändern und sich für das Leben des Kindes entscheiden. Um diesem Ziel dienen zu können, ist es nötig, daß ein ausreichendes Netz von kirchlichen Beratungsstellen sowie genügend personelle und materielle Hilfen einer Begleitung vorhanden sind. Hierbei soll auch die Verantwortung des Vaters mit ins Spiel kommen.

Vollkommen konfliktfreie Lösungen gibt es nicht. Die Bewahrung des Lebens kann in Konfliktfällen Lasten auferlegen und Opfer verlangen. Frauen, die sich unter großen Opfern für ihr Kind entscheiden, geben ein wichtiges christliches Zeugnis für das Leben und verdienen besondere Hochachtung. Wie schwer solche Opfer sind, können jeweils nur die Betroffenen selbst ermessen. Mitdenken und Mitfühlen, Raten und praktische soziale Hilfen können Not lindern und die Entscheidung für das Leben fördern. Zu solcher Hilfe sind jeder einzelne und die gesamte Gesellschaft in die Pflicht genommen.
Seite 296 Seite: 297 Seite 298