Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
Seite 303 Seite: 304 Seite 305
als zwei Drittel aller Menschen sterben in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen.

Heute begegnet die Verdrängung und Tabuisierung des Todes wachsendem Widerstand. Ein neues Nachdenken über Krankheit, Sterben und Tod setzt ein. Dahinter steht die Suche nach Sinn und Identität, die in der modernen Leistungsgesellschaft nicht mehr unmittelbar aufleuchten. Mit diesem Suchen nach Sinn verbindet sich die Forderung nach einem menschenwürdigen Sterben als Recht, den eigenen Tod sterben zu dürfen. "O Herr, gib jedem seinen eigenen Tod!" (Rainer Maria Rilke).


Können wir Sterben und Tod überhaupt verstehen? Stehen wir nicht stumm, hilflos und manchmal auch verbittert da vor dem Sterben eines Kindes, das, kaum geboren, wie ein Licht verlöscht? Versagt nicht unsere Einsicht vor den vielfachen Weisen von Tod durch Hunger, Katastrophen, Krieg, Unfall oder Krankheit?

Auf alle diese Fragen haben Menschen von jeher versucht Antworten zu finden. Von der Antike bis in die Gegenwart gibt es die Antwort, die sich beim Philosophen Epikur findet: "Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr" (Brief an Menoikeus). Eine andere Antwort lautet: "Mit dem Tod ist mein Leben zu Ende. Ich lebe weiter in meinen Kindern, in meinen Werken und in der Erinnerung anderer." Es begegnet uns heute aber auch das Nachdenken darüber, daß der begrenzte und endliche Mensch das Wesen der unbegrenzten Offenheit ist. Alles den Menschen innerweltlich Umgebende ist nicht das im letzten Sinngebende, und Sterben und Tod können nicht das Letzte und Endgültige sein. Will nicht jeder Mensch auf irgendeine Weise Ewigkeit?

Gläubiges Nachdenken über den Tod geht davon aus, daß Gott lebt, daß er als Schöpfer des Lebens das Leben seiner Geschöpfe liebt und an seiner Liebe zu uns auch im Tod festhält, denn "zum Dasein hat er alles geschaffen" und "hat keine Freude am Untergang der Lebenden" (Weish 1,14.13).

Davon, daß Gott seine Liebe zu uns durchhält, spricht das Alte Testament immer wieder. Der Gott des Bundes gibt sein Volk nicht auf. Er ist ihm verborgen in allem gegenwärtig, er weiß um die Not, die Bitterkeit und die Dunkelheit des Leides und des Todes. Gott läßt das Leid zu, aber er hört auch die Klage und sogar die Anklage der Menschen. Er nimmt nicht den
Seite 303 Seite: 304 Seite 305