Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
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uns. Kaum jemand möchte, wenn er krank wird, auf ihre Vorteile verzichten. Sofern sie eine Heilung und eine sinnvolle Lebensverlängerung bewirkt, ist sie auch sittlich zu bejahen.

Mehr und mehr kommen aber auch die möglichen Gefahren in den Blick, die mit der Anwendung der Technik in Kliniken und Krankenhäusern verbunden sein können.

Die Faszination des Machbaren kann eine gefährliche Veränderung in der Einstellung zum ärztlichen Können wie auch zum Sinn des Lebens und des Todes zur Folge haben. Wer unbegrenztes Vertrauen in die Technik setzt, wird das ärztliche Handeln als Reparatur oder als Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit von Organen verstehen und fordern, daß er behandelt wird, ohne zu fragen, ob die Behandlung zu einer sinnvollen Heilung oder Lebensverlängerung führt. Für ihn ist der Tod der ärgste Feind, der mit allen Mitteln und unter allen Umständen bekämpft und bis zum unausweichlichen Ende hinausgeschoben werden muß, sogar dann, wenn das nur um den Preis einer menschenunwürdigen Leidensverlängerung zu erreichen ist. Eine weitere Gefahr der Anwendung der gesamten Apparatemedizin besteht darin, daß dem Patienten, der dem ganzen Einsatz von Apparaten ausgesetzt ist, die Möglichkeit genommen werden kann, menschenwürdig seinen eigenen Tod zu sterben. Hier kann die Apparatemedizin inhuman werden.

Trotz der möglichen Gefahren, die der Einsatz der Technik in der Medizin mit sich bringen kann, wäre es aber unrealistisch und unredlich, diesen Einsatz von vornherein zu verwerfen. Die modernen Methoden der Untersuchung und Behandlung von Krankheiten haben für die Heilung und Erhaltung menschlichen Lebens unschätzbaren Wert.

Die eigentliche ethische Frage, die sich bei den modernen Möglichkeiten der Medizin stellt, lautet: Darf der Arzt, was die Medizin kann? Muß Leben unter allen Umständen erhalten und verlängert werden? Was ist am Ende des Lebens sittlich erlaubt, und was ist sittlich verboten?

Alle Versuche, auf diese und andere Fragen sittlich vertretbare Antworten zu geben, müssen davon ausgehen, daß über menschliches Leben, in welchem Stadium auch immer, nicht verfügt werden darf und daß der Mensch einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Sterben hat. Daraus ergibt sich für den Umgang mit Kranken und Sterbenden in der letzten Lebensphase die Verpflichtung zur Hilfe beim Sterben und die Verpflichtung, menschliches Leben nicht zu töten.
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