Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
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ab. Der Grund dafür ist die Überzeugung, daß das Leben als gottgeschenktes Leben in jedem Augenblick bis zu seinem irdischen Ende und darüber hinaus von Gott getragen und auf Gott verwiesen ist. Die aktive Beendigung des Lebens wäre eine unzulässige Totalverfügung. Überdies hat die moderne Medizin enorme Fortschritte in der Schmerzbekämpfung gemacht, so daß es nur noch ganz wenige Fälle gibt, in denen Schmerz als unerträglich empfunden wird.

Von dieser christlichen Sicht her gibt es kein Recht auf Tötung, wohl aber einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Sterben. Das kann heute weithin dadurch gewährleistet werden, daß schmerzstillende Mittel verabreicht werden, die den physischen Schmerz erträglich machen. Das schließt freilich nicht aus, daß für einen Sterbenden die psychische Belastung so groß sein kann, daß sie ihn beinahe überfordert und so in ihm den Wunsch entstehen läßt, es möchte doch alles ein Ende haben. Eine solche Äußerung ist ein Anruf und eine Bitte um Hilfe. Auch dürfen wir nicht übersehen, daß in einer Gesellschaft, in der das schwache, kranke und sterbende Leben nicht mehr in die Leistungs- und Konsumwelt paßt, bei Kranken und Sterbenden leicht das Gefühl entsteht: Ich bin nichts mehr wert, ich lade den anderen nur Lasten, Kosten und Arbeit auf.

Es ist höchste Zeit, uns wieder bewußt zu werden, daß kein einziges menschliches Leben seinen Wert und seine Würde verlieren kann, wie elend und scheinbar nutzlos es auch sein mag. Krankheit, Leid und Hinfälligkeit gehören zu unserem Leben. Wir würden diese Wahrheit mißachten, wenn wir das Leid aus unserem Leben wegleugnen wollten und nicht mehr bereit wären, es auszuhalten.

Eine gesetzliche Freigabe der aktiven Tötung würde unabsehbare Folgen haben. Sie würde dem Mißbrauch Tür und Tor öffnen; sie würde bei Kranken in Kliniken und Krankenhäusern zu äußerster Verunsicherung führen; und sie würde das Vertrauen in die Ärzteschaft von Grund auf erschüttern. Ziel des ärztlichen Handelns ist die Heilung, die Schmerzlinderung und die personale Zuwendung, nicht aber die Verfügung über Leben und Tod. Deshalb ist es dem Arzt ethisch wie rechtlich nicht gestattet, einen Menschen zu töten, auch wenn dieser darum bittet. Wenn auch das Gesetz einen Arzt, der auf Wunsch ein todbringendes Mittel verschafft, das sich der Patient dann selber verabreicht,
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