Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus" (Dtn 5,6; Ex 20,2). Zuerst wird also im Dekalog Jahwe als Befreier und Erlösergott verkündet. Darum darf der übliche verkürzte Text "Ich bin der Herr, dein Gott", nicht im Sinne von Gott als einem Gott der Gebote und des Gerichts ausgelegt werden. Es handelt sich vielmehr in der Selbstvorstellung Jahwes um eine Frohbotschaft. Die Befreiung aus Ägypten ist die Grund-Erlösungstat des Bundesgottes und zugleich eine exemplarische Voraus-Tat seines zukünftigen Heilshandelns und somit eine "Real-Verheißung". Erst nach dieser "erinnernden" Selbstoffenbarung des Erlösergottes folgt der Weisungsteil, der als göttliche Wegweisung (Thora) für das "Wandern des Gottesvolkes mit seinem Gott" (vgl. Mi 6,8) verstanden werden will. Die "Zehn Weisungen" geben die Weisen an, wie der Mensch sein Ja zu Gott und zu seinem Bund realisieren muß. Ihre Erfüllung soll eine dankende Antwort des Menschen auf die göttlichen Worte und Taten sein. Ihre Verbotsform (nur das dritte und das vierte Gebot sind positiv formuliert) ist von ihrer Bestimmung her zu erklären; Gott will mit dem Bund eine Sphäre des Heiles markieren. Wer diese Grenze überschreitet, indem er den Bund bricht, fällt damit ins Unheil. Die negative Formulierung schafft gleichzeitig den Raum für die menschliche Freiheit, den Geist des Verbotes in kreativer Weise durch positive Haltungen und Taten zu verwirklichen.
Den "Zehn Weisungen" liegt eine auffällige Doppelstruktur zugrunde. Die ersten drei ("erste mosaische Tafel") sprechen das direkte Verhältnis des Gottesvolkes zu seinem Bundesgott an, die sieben folgenden Weisungen (nach katholischer und lutheranischer Zählung die "zweite mosaische Tafel") beziehen sich auf das gemeinschaftssichernde mitmenschliche Verhalten im Gottesvolk (Gott wird in keinem dieser Gebote genannt). Gottesliebe und Menschenliebe sind schon im Alten Testament unlösbar miteinander verbunden und machen zusammen die doppelte Richtung aus, die für das biblische Verständnis des Glaubens grundlegend ist).
1.3. Glaubensverkündigung und sittliche Botschaft bei den Propheten
Die Propheten sind von Gott "berufene Rufer", um die Gottesoffenbarung im Gottesvolk immer von neuem durchzusetzen. Wenn sie auch den Dekalog als solchen kaum ausdrücklich