Band I - Erster Teil Gott der Vater
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verstehen wollen: als Hoffnung auf eine durch uns selbst zu vollbringende künftige Vollendung, als Laune des Schicksals, als flüchtigen Windhauch des Nichts oder als Geschenk, das aus der Fülle des Seins kommt und in diese Fülle zurückstrebt. Der Gläubige ist davon überzeugt, daß allein das Geheimnis Gottes dem Geheimnis des Menschen entspricht, und er glaubt, dafür Gründe nennen zu können. Zumindest ist er der Überzeugung, daß alle Gründe gegen den Gottesglauben nicht stichhaltig sind und auch rational entkräftet werden können. Doch alle Gründe und Gegengründe sind angesichts des je größeren Geheimnisses Gottes nicht mehr als eine begründete Einladung zum Glauben.

Was heißt also Gott kennen und erkennen? Offensichtlich mehr als ein distanziertes Zur-Kenntnis-Nehmen, daß Gott existiert. In der Gotteserkenntnis geht es auch um uns selber, um den Sinn unseres Menschseins, um den Sinn unserer Welt. Die Gotteserkenntnis geschieht deshalb nicht nur mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen, d. h. unter dem Einsatz unserer ganzen Person. Gott erkennen heißt deshalb auch, ihn anerkennen als Grund und Ziel des Lebens, heißt, ihn als ein und alles bejahen. Wer Gott erkennt, weiß, daß er ihm alles verdankt. Gotteserkenntnis äußert sich deshalb nicht nur im Denken, sondern auch im Danken, im Loben und Preisen. Man muß die Wahrheit tun, um sie wirklich zu erkennen (vgl. Joh 3,21). Wer Gott wirklich erkennt und an ihn glaubt, dessen Leben wird sich verändern. Er weiß sich ganz und gar angenommen; er kann und soll deshalb auch sich und die anderen annehmen. Gerade weil er um einen letzten Halt und Inhalt des Lebens weiß, kann und soll er sich gegen alle lebenszerstörenden Mächte für das Leben einsetzen.

Wer so mit seiner ganzen Person glaubt, weiß nur in dem Sinn mehr, als er um das unabschließbare Geheimnis Gottes und des Menschen weiß und deshalb alle Versuche menschlicher Letztantworten in Frage stellt. Wer an Gott glaubt, braucht also die Offenheit vieler Fragen nicht zuzudecken und die oft schrillen Dissonanzen im menschlichen Leben nicht zu harmonisieren; aber er kann sie aushalten, weil die Antwort, die er gibt, keine fertige Lösung, sondern ein noch tieferes Geheimnis ist. Der Glaube an den verborgenen Gott wird immer ein suchender, fragender und stets neu wagender Glaube sein.
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