Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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Erbarmen mit dem Volk (Mk 6,34; 8,2 u. par.) gilt besonders den Verachteten und Benachteiligten, den Sündern, den Armen und den Notleidenden. "Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken" (Mk 2,17). Diese "Option für die Armen" ist als Ausdruck des Willens Gottes, die Verlorenen zu retten, für alle Zeiten gültig.

Wie die Herrschaft Gottes mit Jesus in die Geschichte einbricht, so soll sie sich weiter in ihr durchsetzen. Jesus wendet sich zunächst an das alte Gottesvolk Israel, an die "verlorenen Schafe des Hauses Israel" (Mt 10,6). Aus ihm will er die an seine Botschaft Glaubenden sammeln, um die heilige Gottesgemeinde der Endzeit zu bilden. Als sich dagegen Widerstände kundtun, die letztlich zum Kreuzestod Jesu führen, nimmt er die Botschaft nicht zurück, sondern verdeutlicht, daß dennoch Gott sein Reich herbeiführen wird (vgl. Mk 14,25).

Mit dem Kreuzestod Jesu und seiner Auferweckung eröffnet Gott die neue Heilsmöglichkeit. Jesu Sterben "für viele" (Mk 14,24 u. par.), das heißt für die Erlösung aller Menschen, wird in der Auferweckung des Gekreuzigten zu einem Weg, Gottes befreiende Herrschaft für die ganze Menschheit aufzurichten. Die Kirche Jesu Christi soll der Ort werden, an dem die "Kräfte der kommenden Welt" (Hebr 6,5) wirksam werden und die Welt erfassen.

Diese befreiende Herrschaft Gottes fordert zu sittlichem Handeln heraus. Der Mensch erfährt diese Forderung in der Spannung zwischen Wirklichkeit und Verheißung, zwischen Gegenwart und Zukunft. Gottes gegenwärtiges Heilshandeln in Jesus Christus verlangt von den Hörern, daß sie seinen Willen erkennen, ihn sich zu eigen machen und alles tun, damit sich die Herrschaft Gottes verwirkliche. Somit fordert die Herrschaft Gottes die Menschen zur eigenen Entscheidung und zum Handeln in dieser Zeit, in den jetzigen Weltverhältnissen heraus. Sie zwingt sich den Menschen nicht auf, nimmt ihnen Anstrengung und Bemühen nicht ab. Alle werden aufgerufen, zu allen Menschen barmherzig zu sein, wie sie jetzt Gottes der Barmherzigkeit erfahren (Lk 6,36). Das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Mt 18,23-35) zeigt, was Gott von den Menschen erwartet, denen er ihre Schuld vergeben hat. Das Hauptgebot, das neben die Gottesliebe mit gleichem Gewicht die Nächstenliebe stellt (Mt 22,37-40; Mk 12,29-31), will so verstanden sein, daß sich
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