Band I - Erster Teil Gott der Vater
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die Überzeugung wieder im Wachsen, daß man ohne Bindung an Tradition in der Gegenwart und für die Zukunft orientierungslos wird. Aber was alt ist, ist deswegen noch nicht gut. Gerade gegenüber der Tradition gilt: "Prüft alles, und behaltet das Gute!" (1 Thess 5,21). Viele Traditionen waren zeitbedingt, wie vieles, was heute Mode ist, schon morgen veraltet sein wird. Auch in der Kirche gibt es vielfältige Traditionen, die sich, wie wir vor allem in unserem Jahrhundert erlebt haben, rasch wandeln können. Um so mehr die Frage: Was bleibt? Worauf kann man sich verlassen?

Jesus selbst war gegenüber der "Überlieferung der Alten" (Mk 7,3.5) kritisch, weil er sah, daß die Juden die "Überlieferung der Menschen" an die Stelle von Gottes Gebot gesetzt haben (Mk 7,8). Aber er war kein Bilderstürmer, der alles umstürzen wollte. In vielem hielt er sich an die Überlieferung seines Volkes, ja, er schöpfte reichlich aus dem Alten Testament. An die Stelle der rabbinischen Auslegung setzte er freilich seine eigene: "Ich aber sage euch" (Mt 5,22 u. a.). Er will sagen: "Was wirkliche und wahre Tradition ist, das sage ich." Mehr noch: "Tradition, lebendige und lebenweckende Weitergabe, das bin ich." Dieses Verständnis wird uns durch den Apostel Paulus bestätigt. Er überliefert, was er von den Christen und Gemeinden vor ihm selbst empfangen hat (vgl. 1 Kor 15,3). Hinter dieser Überlieferungskette steht für ihn letztlich Jesus Christus. "Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe" (1 Kor 11,23). Für Paulus ist also Jesus Christus die eine und letztlich die einzige Autorität, an der alles andere gemessen werden muß. Im theologischen Ansatz ist die Tradition Jesus Christus selbst als der in der Kirche bleibend wirksam gegenwärtige Herr. Er ist zugleich der Maßstab für alle einzelnen Traditionen.

Wir müssen also ausgehen von der einen Tradition. Sie ist vom II. Vatikanischen Konzil in der Sache gemeint, wenn es von der lebenspendenden Gegenwart dieser Überlieferung spricht.
"So ist Gott, der einst gesprochen hat, ohne Unterlaß im Gespräch mit der Braut seines geliebten Sohnes, und der Heilige Geist, durch den die lebendige Stimme des Evangeliums in der Kirche und durch sie in der Welt widerhallt, führt die Gläubigen in alle Wahrheit ein und lässt
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