Band I - Erster Teil Gott der Vater
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Zeugnisse der Vergangenheit (etwa die Inschriften in den Katakomben, die geschichtlich sich wandelnden Christusdarstellungen u. a.). Nicht zuletzt sind die großen Heiligengestalten zu nennen. Wir werden uns deshalb in diesem Katechismus immer wieder bemühen, diese Glaubenszeugen der Vergangenheit zu Wort kommen zu lassen. Nicht alles unter diesen vielfältigen Gestalten und Zeugnissen der Tradition kann freilich gleich wichtig sein. Zu viele Unterschiede sind deutlich, sobald man sich eingehender damit befaßt. So stellt sich die Frage nach den Kriterien, um in der Vielfalt der Traditionen die eine Tradition zu erfassen.

Ein erstes Kriterium nannten wir bereits: Jesus Christus, vor allem wie er uns in der Heiligen Schrift, der Ur-kunde des Glaubens, bezeugt wird. Die Heilige Schrift bezeugt alles zum Heil Notwendige, vor allem die Mitte unseres Glaubens, das Heil Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist. Alle anderen Glaubensaussagen sind Entfaltungen, Absicherungen und Abgrenzungen dieser einen Wahrheit in den vielen Wahrheiten. Deshalb ist das Ursprungszeugnis der Heiligen Schrift der wichtigste Maßstab zur Beurteilung der Traditionszeugnisse. Ein zweites Kriterium kommt hinzu: Ein einzelnes Traditionszeugnis ist nur insoweit beweistüchtig, als es den gemeinsamen Glauben des gesamten Wir der Kirche seiner Zeit und jeder Zeit zum Ausdruck bringt. Im 5. Jahrhundert hat Vinzenz von Urins den Satz aufgestellt: "Desgleichen ist in der katholischen Kirche selbst entschieden dafür Sorge zu tragen, daß wir das festhalten, was überall, was immer und was von allen geglaubt wurde; denn das ist im wahren und eigentlichen Sinne katholisch." Damit ist nicht ausgeschlossen, daß die Kirche erst im Laufe der Geschichte die ganze Fülle der ursprünglich überlieferten Glaubenswahrheit erkennt. Doch dies muß geschehen, wie Vinzenz von Lérins sagte und wie es das I. Vatikanische Konzil wiederholte, "in demselben Sinn und in derselben Auffassung" (DS 3020; NR 44). Die Wahrheit des Evangeliums ist in den vielfältigen kulturellen und geschichtlichen Ausdrucksformen immer eine und dieselbe.

Auch das Verhältnis von Heiliger Schrift und Tradition war im 16. Jahrhundert Gegenstand scharfer Auseinandersetzung. Im späten Mittelalter waren manche Grundaussagen des Evangeliums durch menschliche Traditionen verdunkelt. Gegen diese Überfremdungen stellten die Reformatoren den Grundsatz auf: "allein die Schrift". "Gottes Wort soll Artikel des Glaubens stellen und sonst niemand, auch kein Engel" (Schmalkaldische Artikel).
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