mit den eigenen Bedürfnissen und Wünschen verstanden werden. Darüber hinaus macht er deutlich, daß das Maßhalten mit sozialer Verantwortung zu tun hat, zum Beispiel im Umgang mit der Umwelt, in der gerechten Verteilung der Konsumchancen in der Welt und in vielen anderen Bereichen, in denen Verzichtleistungen gefordert werden können.
Maßhalten gehört heute zur Überlebenskunst der Menschheit. Es hilft der individuellen Bewältigung der eigenen Wunschwelt und zugleich der Herstellung sozialer Gerechtigkeit.
In alledem, was uns in den Inhalten der theologischen und sittlichen Tugenden begegnet, wird deutlich, warum die Unterweisung über die Tugenden von alters her an wichtiger Stelle in der christlichen Verkündigung steht. Die Gestaltung des christlichen Lebens aus diesen Tugenden gilt als das Höchste, wozu ein Mensch mit der Gnade Gottes fähig ist. Es gab aber und gibt auch viele Verfälschungen im Verständnis der Tugenden. Oft dienten sie dazu, die Menschen zu immer größeren Tugendleistungen anzutreiben. Deshalb geriet in der Reformation die Lehre von den Tugenden in den Verdacht der Verkündigung einer "Werkfrömmigkeit", mit welcher der Mensch sich aus eigener Kraft die Gnade und die Anschauung Gottes verdienen könne. Die Auseinandersetzung um das rechte Verständnis der Tugenden hat dazu geführt, daß zwischen dem katholischen und dem protestantischen Verständnis der Sittlichkeit lange Zeit ein tiefer Graben bestand. In der Gegenwart konnten in vielen ökumenischen Gesprächen solche Mißverständnisse ausgeräumt werden. Dabei spielte besonders das Verständnis von Rechtfertigung und Gnade eine entscheidende Rolle. Auch im philosophisch-ethischen Denken und im allgemeinen ethischen Bewußtsein findet das lange Zeit verpönte Nachdenken über Tugend-Ethik wieder Anerkennung und Wertschätzung. Entscheidend für diese Wiederentdeckung der Tugenden ist, daß sie als personale Haltungsbilder verstanden werden. In den theologischen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe spiegelt sich unsere Einstellung und unser Verhalten zu Gott wider, zu dem wir von Gott ermächtigt und befähigt sind; in den sittlichen Tugenden, besonders in den Kardinaltugenden, faltet sich dieses Verhältnis aus in die Einstellungen zu den Mitmenschen und zur Welt.
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