Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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Sünde verstößt von ihrem Wesen her auch gegen den Nächsten. In der Sünde verschließt sich der Mensch gegenüber dem Mitmenschen und handelt gegen das Wohl anderer. Wie die Erfüllung des Gesetzes Ausdruck der Liebe ist (Röm 13,10), so ist die Sünde Ausdruck der Lieblosigkeit.

Da sich der Mensch in der Sünde der Liebe verschließt, wendet er sich darin von Gott ab, der Liebe ist. Das geschieht nicht nur dann, wenn er ausdrücklich an Gott denkt und sich so gegen ihn entscheidet, sondern schon dadurch, daß er Gottes Gebot mißachtet. In der Sünde wird statt des einen wahren Gottes eine endliche Wirklichkeit in den Mittelpunkt gestellt: Macht, Reichtum, Sexualität, Lebensgenuß und vieles mehr.

Der Mensch steht in der Versuchung, seine Schuld vor sich selbst und vor anderen zu verleugnen oder zu verkleinern. Es fällt nicht leicht, die eigene Schuld einzusehen und sie einzugestehen. Der Schuldiggewordene kann es nicht einmal aus eigener Kraft. Wo jemand einsieht, daß er schuldig geworden ist, und sich auch zu dieser Schuld bekennt, geschieht es mit Gottes Gnade.

Sünde kann durch einzelne Taten, Worte und Unterlassungen geschehen. Diese haben zumeist als tiefere Ursache, daß die Verantwortung für eine umfassende Gestaltung des Lebensauftrages vernachlässigt worden ist. Wo die innere Verbundenheit mit Gott schwindet, wirkt sich das auch auf das religiöse Leben aus: auf die Teilnahme am Gottesdienst, auf das Gebetsleben und auf die aktive Teilnahme am Leben der Kirche. In ähnlicher Weise führt ein Nachlassen in der Nächstenliebe dazu, daß Menschenrechte verletzt werden oder andere schwere Verfehlungen gegen Gottes Gebote geschehen. Ehebruch, Tötung eines ungeborenen Kindes, Lüge, Betrug, Übervorteilung anderer oder schwerer Diebstahl sind Anzeichen dafür, daß Treue, Lebensrecht, Wahrhaftigkeit, Achtung der Person und des Eigentums anderer aus dem Blick geschwunden sind.

Oft ist es nur schwer auszumachen, wie weit die eigene Schuld reicht. Der heranwachsende Mensch braucht die Zuwendung anderer, die Liebe von Vater und Mutter, das Bemühen seiner Lehrer und Erzieher, um sittliche Werte erkennen zu können. Er braucht das beratende Wort und das gute Vorbild, um die Sinnhaftigkeit seines Tuns einzusehen. Wo ihm diese Hilfen versagt
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