Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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besonders intensives Bemühen um die Klärung des Unterschiedes zwischen Todsünde und läßlicher Sünde ein. Dabei kam es zu einer immer größeren Ausweitung des Begriffs und der Zahl von Todsünden. In Theologie und Pastoral wird bis heute an der Zweiteilung in Todsünde und läßliche Sünde festgehalten; doch wird, wie Papst Johannes Paul II. eigens betont, die in der Tradition ebenfalls übliche Unterscheidung in schwere und leichte Sünde mit der Aufteilung in Todsünde und läßliche Sünde praktisch gleichgesetzt (vgl. RP 17).

Die heutige kirchliche Lehrverkündigung nennt in Übereinstimmung mit der ganzen Tradition "denjenigen Akt eine Todsünde, durch den ein Mensch bewußt und frei Gott und sein Gesetz sowie den Bund der Liebe, den dieser ihm anbietet, zurückweist, indem er es vorzieht, sich selbst zuzuwenden oder irgendeiner geschaffenen und endlichen Wirklichkeit, irgendeiner Sache, die im Widerspruch zum göttlichen Willen steht (conversio ad creaturam - Hinwendung zum Geschaffenen)" (RP 17; vgl. KKK 1857).

Für die Schwere der Sünde sind drei Merkmale ausschlaggebend: das Maß der gegebenen und eingesetzten Freiheit, die Klarheit der Erkenntnis und die Wichtigkeit der Sache (vgl. KKK 1857-1861).

Die Freiheit verwirklicht sich immer in einem zeitlichen Prozeß. Der Mensch fällt nicht völlig unvermittelt in schwere Sünde, sondern erst dann, wenn die sittlich schlechte Haltung schon in ihm vorbereitet worden ist. Wo jemand Böses tut, ohne daß eine innere Fehlentwicklung vorausgegangen ist, darf man annehmen, daß für eine solche Sünde äußere Beweggründe entscheidend waren, zum Beispiel Verführung, eine kaum zu ertragende äußere Situation oder auch eine schwer zu beherrschende natürliche Anlage.

Ob jemand etwas wirklich frei getan hat, zeigt sich auch daran, wie weit er sich nach der schlechten Tat mit ihr identifiziert. Wenn er sich nach der Tat sofort von ihr distanziert und sie aufrichtig bereut, ist das ein Hinweis darauf, daß er möglicherweise nicht seine ganze Person in die Tat eingebracht hat oder daß seine Freiheit eingeschränkt war. Wenn er sie dagegen nachher bejaht und bereit ist, auch weiterhin so zu handeln, zeigt sich darin ein voller Einsatz der Freiheit.

Letztlich bleibt unsere Freiheit ein Geheimnis, das nur Gott durchschaut. Außer von Jesus Christus selbst, "der in allem wie
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