Bedürfnisse des Menschen mißbraucht und verfügbar gemacht.
Niemand kann bestreiten, daß es solche Zerrformen des Gebetes gibt. Aber treffen sie das wahre Beten, wie es uns in den Psalmen, von Jesus, von den großen Heiligen bezeugt ist? Was heißt das also, beten?
Einer der größten Theologen der Christenheit, der hl. Thomas von Aquin, gibt die wohl zutreffendste Antwort. Er definiert das Gebet als Ausdruck der Sehnsucht des Menschen vor Gott. Damit ist das Gebet mehr als Einkehr und Besinnung, mehr als Hygiene und Kultur der Seele oder ein bloßes psychologisches "Auftanken". Im Gebet betrachtet der Mensch sich und seine Situation vor Gott, auf ihn hin und von ihm her. Dabei erfährt er, daß er ein der Hilfe bedürftiges Geschöpf ist, ohnmächtig, sich die Erfüllung seines Daseins und seiner Hoffnung selbst zu geben. Allein Gott, der Grund und das Ziel des Menschen, ist groß genug, um das Herz des Menschen ganz auszufüllen. Darum ist das Gebet Aufbruch zu Gott, Erhebung des Herzens zu Gott, Begegnung des Menschen mit Gott. Die tiefste Sehnsucht des Menschen ist das Einswerden mit Gott, d. h. die Gemeinschaft und die Freundschaft mit ihm. Die eigentliche Definition des Gebetes lautet deshalb: Das Gebet ist ein Gespräch mit Gott, Austausch der Freundschaft mit ihm (Teresa von Avila).
Das alles zeigt: Das Gebet ist keine schwächliche Flucht vor der Realität; es ist das einzig realitätsgerechte Verhalten des Menschen. Das Gebet bedeutet ein Standhalten in der Hoffnung ohne alle Illusionen. Deshalb ist es auch eine Hilfe, um mit uns, mit den andern und mit der Welt ins reine zu kommen. Es klärt und läutert die Grundhaltung des Menschen, entlarvt bloßen Schein, mit dem wir uns und den andern etwas vormachen. Es gibt uns die Kraft, von unseren Lebenslügen zu lassen und die Wahrheit über uns und unser Leben anzuerkennen. Dabei ist wahres Beten nie folgenlos. Es bewährt sich in der Umkehr und in der Hinkehr zu Gott wie zu den andern. Es gibt uns die Gewißheit, daß das Tun der Liebe niemals sinnlos sein kann. So gibt das Beten auch Mut und Kraft zum Einsatz in der Welt. Es ist zugleich Ausdruck der Demut wie der Großmut. Es lehrt uns Gelassenheit ohne alle Resignation und hilft uns, uns selbst, die andern und die Welt anzunehmen, weil wir
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