Band I - Erster Teil Gott der Vater
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Zum mündlichen Gebet kommt das betrachtende Gebet, d. h. das Nachsinnen über einen Text, vor allem einen Text aus der Heiligen Schrift (Textbetrachtung), ein religiöses Bild (Bildbetrachtung) oder eine Lebenssituation (Lebensbetrachtung). Dabei geht es nicht um möglichst kluge Gedanken, Analysen und Informationen; "denn nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge, sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von innen" (Ignatius von Loyola).

Von besonderer Bedeutung ist schließlich das innere Gebet; man nennt es auch das beschauende Gebet oder besser: das Herzensgebet. Es meint ein unmittelbares Innewerden der Gegenwart Gottes, ein unmittelbares Sich-angesprochen-Wissen und ein antwortendes Du-Sagen. Es kann auch im Wandel in Gottes Gegenwart, im Finden Gottes in allen Dingen bestehen und so mitten im Alltag geschehen. Bei besonders begnadeten Betern kann das innere Gebet bis zur innigsten mystischen Vertrautheit mit Gott führen. Das Entscheidende dabei sind nicht außerordentliche Erfahrungen oder geistliche Hochstimmungen. Gerade die großen Beter in der Heiligengeschichte berichten, daß das innere Gebet sehr oft verbunden ist mit Erfahrungen geistlicher Trockenheit und Trostlosigkeit, mit der Erfahrung der dunklen Nacht, in der ihnen die ganze Verborgenheit und Geheimnishaftigkeit Gottes aufgegangen ist.

Das alles zeigt: Es gibt nicht nur vielfältige Weisen des Betens, es gibt in jedem ernsthaften Christenleben auch einen Weg des Betenlernens und Stufen der Gebetserfahrung. So sehr uns das Beten immer wieder neu gnadenhaft geschenkt werden muß, muß sich der Mensch dafür doch bereiten durch Einkehr und Stillewerden, Entspannung und Sammlung und durch Selbstzucht. Wichtig ist auch das Einhalten von bestimmten Ordnungen des Gebets, besonders von bestimmten Gebetszeiten (Morgen- und Abendgebet, Tischgebet, Sonntagsheiligung, Kirchenjahr, Einkehrtage). Eine Hilfe für das Beten ist auch das geistliche Gespräch und der geistliche Erfahrungsaustausch mit anderen Christen, die sich ebenfalls um das Beten mühen.

4.3 Beten im Namen Jesu

Jesus hat uns nicht nur gesagt, wir sollen beten, so wie er uns zu beten gelehrt hat, sondern auch, wir sollen in seinem Namen beten (vgl. Joh 14,13-14 u. a.). Wir dürfen uns in unserem
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