Band II - Erster Teil Ruf Gottes - Antwort des Menschen
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IV. Maßstäbe christlichen Handelns

1. Normen: Einschränkung oder Ermöglichung von Freiheit?

1.1. Normen und ihre Funktion

"Liebe, und dann tu, was du willst!" Dieses Wort des heiligen Augustinus (vgl. Expos. ep. ad Gal. 57 und In ep. Io. tr. 7,8) findet bei vielen Menschen großen Anklang. Alle weiteren Maßstäbe oder Normen scheinen überflüssig zu sein, zumal auch Jesus selbst als oberste Norm die Liebe verkündet hat. Genügt es nicht, auf die Liebe hinzuweisen und dann jedem einzelnen zu überlassen, welche persönlichen Konsequenzen er daraus für sein Leben ziehen will? Was brauchen wir außer der Liebe noch weitere Normen? Sind sie nicht eine Einengung unserer Freiheit und unserer Entfaltungsmöglichkeiten?

Solche und ähnliche Fragen werden heute oft gestellt. Was sind Normen, und welche Bedeutung haben sie für das Leben des Menschen?

Das Wort "Norm" ist eine Übersetzung des lateinischen "norma" und bedeutet eigentlich einen Maßstab, an dem etwas gemessen wird. Ursprünglich gehört das Wort "Norm" nicht zum christlichen Sprachgebrauch. Die Heilige Schrift verwendet eher solche Begriffe wie Gesetz, Weisung oder Gebot. Erst seit dem 19. Jahrhundert ist auch in der Ethik von "Norm" die Rede. In ihr wird "Norm" definiert als Ausdruck der Vernunftordnung, nach der die menschliche Freiheit sich auf das Gute hin ausrichtet. Sie mißt und bestimmt die Akte des freien Willens; sie legt sich dem freien Willen verpflichtend als vernunftgemäße Richtschnur für sein sittliches Handeln auf.

Normen sind somit Maßstäbe, an denen wir unser Verhalten ausrichten und orientieren sollen. Sie begegnen uns als Prinzipien, Verhaltensregeln, Verbote, Gebote, Gesetze und Weisungen.
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