Band I - Erster Teil Gott der Vater
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meist, daß ihre Zusammenschau dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entspricht und "überholte" christliche Glaubensvorstellungen überbietet. Sie entsprechen damit dem Bedürfnis des Menschen, sich selbst und die Welt zu verstehen. Deshalb leiten sie alles aus einem einzigen Prinzip ab. Entweder aus der Materie (materialistische Weltanschauung) oder aus dem Geist, der alles durchdringt und sich in allem versinnbildlicht (Spiritualismus, etwa in der Anthroposophie). Ihr Anspruch, eine Gesamtschau zu leisten, führt sie dazu, meist unterschiedlichste Elemente der Religionen, auch christliche Elemente, aufzugreifen und miteinander zu vermischen (Synkretismus = Religionsmischung).

Eine solche Einheitsschau wird freilich weder der Vielfalt der Phänomene, noch der Abgründigkeit des Geheimnisses des Menschen und der Welt gerecht. Wer alles aus einem Prinzip ableiten möchte, wird leicht totalitär und intolerant. Der Anspruch solcher Weltanschauungen auf Wissenschaftlichkeit muß verneint werden, da die Wissenschaft immer nur Einzelfragen beantworten und einzelne Wissensgebiete systematisch behandeln kann. Sie gelangt nie zu einem fertigen Weltbild, sondern muß sich stets offen halten für neue Einsichten und Fragen. Der christliche Glaube enthält zwar wesentliche Elemente einer Weltanschauung, aber er ist keine Weltanschauung im strengen Sinn. Er weiß, daß wir in diesem Leben nur stückweise und umrißhaft erkennen können (vgl. 1 Kor 13,12). Die Weltanschauungen wollen im Grunde zuviel leisten und leisten damit zuwenig.

Von besonderer Bedeutung sind heute die politischen Weltanschauungen. Es geht ja in allen genannten Fragen nach dem Sinn nicht nur um den Sinn unseres persönlichen Lebens, sondern auch um unser gemeinschaftliches Leben. Keiner lebt für sich allein, sondern mit anderen, für andere und von anderen. Jeder ist auf jeden angewiesen, jeder ist auch von jedem abhängig. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn unseres persönlichen Lebens steht deshalb in engem Zusammenhang mit der Verwirklichung einer freiheitlichen, gerechten politischen Ordnung für alle. Rückzug ins private Glück wäre eine Illusion. Politische Verantwortung und politischer Einsatz sind von jedem gefordert. Die Frage ist deshalb: Wie können wir unser gemeinschaftliches Leben menschlich organisieren und gestalten? Wie können wir erreichen, daß in unserer Gesellschaft
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