Band I - Erster Teil Gott der Vater
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nicht die Macht des Stärkeren, nackte Gewalt, Neid und Haß, sondern Menschenwürde, Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Friede herrschen? Wie ist eine Versöhnung zwischen den unterschiedlichen Interessen der Menschen, der Völker, der Rassen und Klassen möglich?

Das Anliegen der politischen Weltanschauungen und die Bedeutung des politischen Einsatzes für die Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen sind unbestreitbar. Sie versagen freilich, wenn sie eine Letztantwort zu geben beanspruchen. Sowenig wie die Materie oder den Geist kann man die Gesellschaft zum ein und alles machen. Die Frage nach dem persönlichen Glück, dem persönlichen Tod läßt sich nicht verschieben, bis einmal eine vollkommene und gerechte Ordnung bestehen wird. In dieser Welt läßt sich ohnedies keine vollkommene Gerechtigkeit verwirklichen, lediglich Versuche sind möglich, sich ihr mehr oder weniger anzunähern. Solange nämlich der einzelne nicht im Heil ist, kann es keine vollkommene Gesellschaft geben. Solange werden auch in der Gesellschaft Haß, Neid und Widerstreit der Interessen bestehen. Selbst wenn alle politischen Probleme gelöst wären, bliebe noch die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens, der persönlichen Schuld, dem Tod, den jeder einzeln zu bestehen hat. Es wird also immer eine Spannung zwischen dem einzelnen und dem Ganzen bleiben. Der einzelne Mensch mit seinen Bedürfnissen, Sorgen, Freuden und Nöten geht nie im gesellschaftlichen Prozeß auf. Im Gegenteil, die Person des einzelnen ist nicht Ergebnis, sondern Wurzel und Ziel des gesellschaftlichen Prozesses. Das gesellschaftliche Leben muß sich also am Menschen orientieren. So entsteht auch im politischen Bereich erneut die Frage: Was ist der Mensch?

Wir stellen fest: Die Wissenschaften und die politischen Weltanschauungen geben uns je in ihrem Bereich wichtige Antworten auf unsere Frage. Die Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens selbst können sie nicht beantworten. Ohne eine solche Antwort werden sie aber selbst orientierungslos. In dieser Orientierungslosigkeit besteht die Krise unserer Epoche. Die gemeinsamen Wert- und Zielvorstellungen, aus denen vergangene Jahrhunderte gelebt haben, sind für viele fragwürdig geworden. Es fehlt an zündenden Ideen, großen Zukunftsperspektiven, letzten Werten, für die man sich begeistern und für die man Opfer bringen kann. Skepsis und Resignation breiten
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