Band I - Erster Teil Gott der Vater
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allmächtigen und uns übermächtigenden Gott und von einem religiösen "System", das die Freiheit beengt und das Leben unterdrückt. Am wichtigsten ist der Atheismus, der von der Erfahrung des Bösen in der Welt betroffen ist und gegen einen Gott protestiert, der allwissend, allmächtig und gütig sein soll und doch all dieses sinnlose Leiden zuläßt. Die Frage "Warum leide ich?" gilt für viele als der Fels des Atheismus (G. Büchner). Schließlich gibt es den skeptischen und kritischen Atheismus, der gegenüber allen Letztantworten zurückhaltend ist. Für ihn sind religiöse Fragen unbeantwortbar und darum sinn los. Über Gott kann man nach ihm nur schweigen. (Zur Frage des modernen Atheismus vgl. GS 19-20.)

3.3 Religiöse Erneuerung

Was sollen wir zu alledem sagen? Zunächst: Der moderne Atheismus muß für die Religionen, besonders für das Christentum, in dessen Bereich der Atheismus entstanden ist, Anlaß für eine eingehende Gewissenserforschung sein. Der Atheismus ist ja auch eine kritische Reaktion auf ein mißverständliches Gottesbild und auf mangelhafte Verwirklichung des Gottesglaubens im sittlichen und gesellschaftlichen Leben. Oft hat man im Namen Gottes gegen Erkenntnisse der Wissenschaft gekämpft, Kriege geführt, ungerechte Zustände verteidigt, durch Zwangsmaßnahmen die Freiheit mißachtet oder die Religion mißbraucht, um Menschen gefügig zu machen. Der Atheismus kann für die Religionen also auch eine reinigende Funktion haben. Es wird sehr viel davon abhängen, ob sie in Zukunft glaubwürdig machen können, daß Religion und wissenschaftlicher Fortschritt, Gottesglaube und menschliche Freiheit keine Gegensätze darstellen, sondern zusammen bestehen können.

Auf der anderen Seite muß aber auch die durch die modernen Wissenschaften und durch die politischen Weltanschauungen entstandene Krise für die modernen Atheisten zur Gewissensfrage werden. Oft haben sie nur gegen zeitbedingte und heute überholte Formen der Religion, teilweise gar gegen Mißverständnisse und Mißbräuche der Religion protestiert, aber nicht gegen diese selbst. Aber wurden und werden Wissenschaft und Politik nicht ebenfalls oft in grauenhafter Weise mißbraucht? Waren sie in der Lage, die Sinnfrage im persönlichen und im gesellschaftlichen Bereich hinreichend zu beantworten,
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