Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
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will. - In der Frage, wie Gottes Heil und Reich sich im Befreiungsprozeß verwirklichen muß, nehmen die Befreiungstheologen unterschiedliche Positionen ein; ihre lehrmäßigen Grenzen sind nicht genau abgesteckt. Damit verbundene Konflikte werden von denen, die aus der gegenwärtigen Unrechtssituation Nutzen ziehen, bewußt angeheizt, um Christen, die in Basisgemeinden arbeiten, zu diffamieren und ihre Tätigkeit zu erschweren.

Nach kirchlicher Lehre ist es "vollauf berechtigt, daß diejenigen, die an der Unterdrückung durch die Besitzer des Reichtums oder der politischen Macht leiden, sich mit moralisch erlaubten Mitteln dafür einsetzen, Strukturen und Institutionen zu erlangen, in denen ihre Rechte wirklich respektiert werden" (Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über die christliche Freiheit und Befreiung vom 22. 3. 1986, 75f).

Das sittliche Urteil darüber, welche Mittel und Wege für das konkrete Handeln in solchen bedrängenden Situationen erlaubt sein können, muß sich immer an der menschlichen Würde und der menschlichen Freiheit ausrichten. Denn es gibt keine wirkliche Befreiung, wenn nicht von Anfang an die Freiheitsrechte respektiert werden.

Darüber hinaus ist zu bedenken, daß das Gebot der Nächstenliebe unvereinbar ist mit dem Haß gegen andere, sei es als Einzelperson oder als Gemeinschaft. Befreiung im Geist des Evangeliums läßt deshalb den Schluß zu, daß jemand Widerstand als Befreiung von ungerechter Gewalt nur in der Form des gewaltlosen Widerstands für gerechtfertigt hält. Im gewaltlosen Widerstand kann jemand Zeugnis dafür ablegen, daß nur die Liebe zu wahrer Freiheit führt, während Gewalt immer neue Gewalt mit sich bringt.

Als weiterer Weg ist auch an Gewaltlosigkeit als Strategie zu denken, wie sie in der neueren Geschichte zum Beispiel Mahatma Gandhi und Martin Luther King beispielhaft vorgelebt haben. Ob dieser Weg zum Erfolg führt, hängt allerdings in hohem Maß davon ab, ob die Herrschenden fähig und bereit sind, die Unrechtsverhältnisse zu ändern.

Einer (mit Waffengewalt vorgenommenen) Revolution als Weg der Befreiung von ungerechter Gewalt ist jede Art von Reform der Strukturen und Institutionen der Vorzug zu geben, zumal die Revolutionen unserer Zeit zumeist mit Ideologien verknüpft
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