Band II - Zweiter Teil Die Gebote Gottes
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Zustand, in dem alles auf den Suizid hindrängt. Deshalb darf jemandem, der sich das Leben genommen oder den Versuch dazu unternommen hat, nicht von vornherein die volle Verantwortung für sein Tun zugeschrieben werden. Vielfach ist der Versuch der Selbsttötung ein Appell an die Mitwelt und ein verzweifelter Ruf nach Zuwendung durch die Mitmenschen. Menschen, die selber keinen Ausweg mehr sehen, bedürfen unserer Hilfe und unseres Mitgehens, damit sie aus der Verzweiflung zu einer Neuorientierung ihres Lebens finden können.

3.4. Fremde Gewalt, Folter, Todesstrafe

Gesundheit und Leben können nicht nur dadurch gefährdet werden, daß wir uns selbst an Leib und Leben Schaden zufügen, sondern sie können auch durch andere bedroht werden: durch mutwillige Verletzung oder durch ungerechte Angriffe auf das eigene Leben, auf das Leben anderer oder auf wichtige Güter und Werte. Gegenüber solchen Angriffen gibt es ein Recht auf Notwehr. Dieses unterliegt aber strengen Regeln. Sie besagen, daß eine Verteidigung nur erlaubt ist, wenn keine andere geeignetere Möglichkeit der Abwehr besteht als die Anwendung physischer Gewalt und wenn bei der Abwehr nicht die Absicht besteht, dem ungerechten Angreifer einen unverhältnismäßig großen Schaden zuzufügen oder gar ihn zu töten. Es muß somit eine wirkliche Notsituation bestehen, und es darf die Abwehr nicht vom Gedanken der Rache geleitet sein. Wo bei einer Notwehr, welche die genannten Bedingungen erfüllt, der Tod des Angreifers eintritt, handelt es sich nicht um eine gewollte Tötung, sondern um eine nicht-gewollte Folge der Verteidigungshandlung. Das Problem der erlaubten Notwehr gegen ungerechte Angriffe erhält über die individuelle Seite hinaus eine besondere Bedeutung, wo es sich um die Frage nach der sittlichen Erlaubtheit gerechter Verteidigung eines Volkes gegen den Angriff eines anderen Volkes handelt (vgl. S. 317-329).

Eine schwere Bedrohung des Lebens und der Würde des Menschen ist die Folter. Weder das Alte Testament noch die jüdische Tradition gestatten die Folter als Mittel, um ein Geständnis zu erzwingen. Im Neuen Testament beruft sich Paulus auf sein römisches Bürgerrecht, das die Folter verbietet (Apg 22,24ff). Die Kirche erklärt die Folter eindeutig als sittlich verwerflich. Die Folter steht in Widerspruch zur Würde des Menschen. Sie widerspricht der Menschlichkeit, sie bringt unzählige Übel hervor und dient in keiner Weise der Wahrheitsfindung. Das gilt auch für die seelische Folter wie Gehirnwäsche und Schwächung des Willens durch Drogen. Das Zweite Vatikanische
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