Band I - Erster Teil Gott der Vater
Seite 93 Seite: 94 Seite 95
nach dem "vertikalen" Warum und Wozu der Wirklichkeit. Evolution setzt immer schon "etwas" voraus, das sich verändert und entwickelt; Schöpfung zeigt, warum und wozu überhaupt etwas ist, das sich verändern und entwikkeln kann. Um beide Sichtweisen zu verbinden, sagen heute viele Theologen: Gott schafft die Dinge so, daß sie ermächtigt sind, bei ihrer eigenen Entwicklung mitzuwirken. "Gott macht, daß sich die Dinge selber machen" (P. Teilhard de Chardin). Dabei wirkt Gott nicht nur am Anfang, um dann die Entwicklung sich selbst zu überlassen. Er hält die Wirklichkeit ständig im Sein, und er trägt und leitet sie auch in ihrem Werden. Gott ist also die alles umgreifende schöpferische Macht, die eigentätiges geschöpfliches Mitwirken freisetzt und durchwaltet. Gerade in ihrer schöpferischen Kraft sind die Geschöpfe ein Abbild des schöpferischen Gottes. Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie widerstreiten also einander nicht grundsätzlich; beide Aussagen geben vielmehr eine Antwort auf ganz verschiedene Fragen; sie liegen auf verschiedenen Ebenen und sind verschiedenen Erkenntnisweisen zugeordnet.

Trotz dieser notwendigen Unterscheidungen geht es in Naturwissenschaft und Theologie nicht um zwei Welten, die nichts miteinander zu tun hätten. Es geht um die eine und selbe Wirklichkeit, die unter verschiedenen Aspekten betrachtet wird. Deshalb können Naturwissenschaft und Theologie nicht achtlos aneinander vorübergehen; sie sind vielmehr auf ein wechselseitiges Gespräch angewiesen.

1.2 Ursprung, Mitte und Ziel der Welt

Die grundlegenden Aussagen des christlichen Schöpfungsglaubens finden sich bereits auf den ersten Seiten des Alten Testaments. Es ist freilich wichtig, daß das Alte Testament nicht nur eine, sondern zwei Schöpfungsgeschichten kennt. Sie stimmen völlig überein in ihrem Glauben an Gott, den Schöpfer; sie drücken diesen Glauben aber mit unterschiedlichen Vorstellungen aus. Damit wird nochmals deutlich, daß es der Bibel nicht um die empirisch erkennbare Entstehung der Welt geht, sondern um den Glauben, daß die Welt in Gott ihren Grund hat.

Der erste, aber jüngere Schöpfungsbericht setzt sehr lapidar ein:
"Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, daß das Licht gut war..." (Gen 1,1-4)
Dann schildert dieser Schöpfungsbericht, wie Gott im Rhythmus von sieben Tagen die einzelnen Schöpfungswerke hervorbringt. Den Höhepunkt bildet die Erschaffung des Menschen
Seite 93 Seite: 94 Seite 95